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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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Flucht ergriffen hatten. Das würde erklären, warum sie die Nähe des Jungen duldeten.
    Alo dachte an die Kampfsituationen, die er selbst erlebt hatte, als er in weiter Ferne Staub aufsteigen sah. Staub - das konnte entweder eine Windhose, ein Reiter oder ein Geländewagen sein. Eine Windhose zeigte sich und verschwand. Ein Reiter kam mühelos durch Geröllhalden, Wasserläufe und Krüppelwälder. Handelte es sich jedoch um einen Geländewagen, musste er notgedrungen im Tal bleiben und dort anhalten, wo der Aufstieg zum Gebirge begann. Alo griff nach seinem Feldstecher. Der dunkle Punkt kam schnell näher. Ein
Geländewagen, wahrhaftig, mit vier Männern besetzt, der die Straße verlassen hatte und querfeldein fuhr. Dann, als der Boden unbefahrbar wurde, hielt der Wagen an und die Männer stiegen aus. Soldaten der Volksarmee, noch recht jung, wie Alo zufrieden feststellte, mit Gewehren bewaffnet. Ihre Unerfahrenheit würde er sich zunutze machen; die Gewehre konnte er gut gebrauchen. Die Männer untersuchten den Boden, und wahrscheinlich fanden sie Spuren, denn sie deuteten auf die Anhöhe, wo der Junge zu den Pferden geklettert war. Jetzt wurde die Lage brenzlig, und Alo musste schnell handeln. Sein spähender Blick glitt am Kamm entlang. Zu seiner Rechten befand sich eine kleine Anhöhe, die einzig mögliche Stelle, an der er den Gipfel überqueren konnte, ohne sich scharf gegen den Himmel abzuzeichnen. Jenseits des Kamms standen Krüppeleichen, und auf dem Gipfel selbst ragten zerklüftete Felsen auf, hinter denen er Deckung suchen konnte.
    Für sein Pferd hatte er in diesem Augenblick keine Verwendung. Geduckt lief er zu ihm hin, pflockte das Tier an, zog sein Gewehr aus dem Sattelschuh und drückte schnell seine Wange an die Wange des Pferdes, das ruhig weitergraste. Dann rannte er los. Die Chinesen waren nicht schlau genug für ihn, aber er durfte keine Zeit verlieren. Eben stand er noch hinter dem Dickicht, und im nächsten Augenblick war er schon knapp unter dem Kamm, wo er sich hinter den Felsen verbergen konnte. Und dort lief er entlang, geduckt und schnell wie ein Raubtier auf der Jagd. Während er jede Deckung ausnutzte und häufig die Richtung änderte, dachte er, dass er zuerst die Soldaten erledigen musste. Was er dann mit dem Jungen machen würde, wusste er noch nicht. Dessen merkwürdiges Verhalten erregte Alos Neugier. Dass die Soldaten hinter ihm her waren, zeigte, dass er dem Arbeitslager entflohen war. Alo wollte ihm eine Chance geben. - War der Junge überhaupt ein Chinese?
    Flach auf dem Bauch liegend kroch Alo zwischen den Felsen
bis zum Rand des Abhangs, rollte sich schnell hinter einen Stamm, den der Wind gefällt hatte, und wartete dort. Er befand sich jetzt genau zwischen dem Jungen und den grasenden Pferden und sah die vier Männer, die den Aufstieg begonnen hatten. Sie stapften zwischen den Bäumen aufwärts; dann und wann verschwanden sie im Gehölz unterhalb seiner Stellung. Der Junge befand sich in schräger Richtung weiter oben. Ob er seine Verfolger gesehen hatte? Alo bezweifelte es, denn das Tal lag im Gegenlicht, und das Wispern des Luftzugs und das trockene Rascheln der Blätter erstickte das Geräusch ihrer Schritte. Alo brauchte nicht lange zu warten, bis die Soldaten näher kamen. Schon lag sein Gewehr über dem Stamm in Anschlag. Ein paar Atemzüge lang sah er nur etwas Braunes sich unter den Bäumen bewegen; dann kamen die Soldaten voll in Sicht. Alos Zeigefinger krümmte sich, und viermal zuckte das Gewehr in seinen Händen. Alo setzte die Kugeln dicht nebeneinander. Er hörte den Knall, das Geräusch der einschlagenden Kugeln und sah die Soldaten zur Seite stürzen - er hatte also sein Ziel nicht verfehlt. Er senkte den Kolben seines Gewehrs und wischte sich mit dem Ellbogen den Schweiß von der Stirn. Das Echo der Schüsse war verklungen. Einige Atemzüge lang herrschte Stille, dann erhoben sich Vögel laut schreiend aus dem Gehölz, kreisten wild flatternd über den Bäumen. Alo trocknete sich die schweißnassen Handflächen am Hemd und zwinkerte, um den Schweiß aus den Augen zu bekommen. Um die Soldaten kümmerte er sich nicht mehr. - Der Junge jetzt; Alo war immer noch unschlüssig, was er mit ihm machen sollte. Er kletterte den Hang hinauf, als er den Jungen sah, der quer über den Kamm rannte. Er hatte die nahen Schüsse gehört und lief mit hochgezogenen Schultern unglaublich schnell auf die Pferde zu, was allerdings zur Folge hatte, dass er sich der Höhle

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