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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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Allerdings müssen sie bei jeder Mahlzeit die Speisen auf großen Silbertabletts ins Esszimmer tragen, was bei Schnee und Kälte recht mühsam ist. Deswegen kommen auch die Speisen nie heiß auf den Tisch. Dafür riecht es im Haus aber auch nicht nach Essen, ein Geruch, der wenig geschätzt wird.
    So, jetzt kennst du das Haus. Reden wir von seinen Bewohnern! Von den Vorfahren weiß ich wenig. Ich nehme an, dass die Großeltern mir von ihren eigenen Eltern und Großeltern erzählt haben. Aber mein Gedächtnis reicht nicht so weit zurück; ich finde nicht mehr den Zugang. Ich habe meine Geisteraugen, aber das Gedränge der Gestalten, die vor meiner Geburt da waren, existiert an einem Ort, ich weiß nicht wo. Eine Angelegenheit des Universums, das sich mit ihnen fortbewegt.
Als ich elf war, kam der Lastwagen und brachte uns weg, und die Verbindung wurde unterbrochen.
    Mein Urgroßvater, Tsering Sherab Langtröe, war Beamter im tibetischen Außenministerium und als Vertreter seiner Regierung viel auf Reisen. Er war freundlich, groß gewachsen, eine elegante Erscheinung. Er hatte die Angewohnheit, sehr langsam zu sprechen, sodass jeder an seinen Lippen hing und mehr oder weniger geduldig auf das Ende jedes Satzes wartete. Seine bedächtige Redeweise gab allem, was er sagte, besonderes Gewicht. Er pflegte eine Liebhaberei, die ihn viel Geld kostete: Er züchtete Pferde. Pferderennen sind bei Feierlichkeiten ein beliebtes Vergnügen. Man setzt viel Geld auf schöne Pferde. Das Besondere war, dass diese Pferde keine Reiter trugen. Aber die intelligenten Tiere wussten genau, worauf es ankam, übertrafen sich gegenseitig an Geschwindigkeit und jagten ihrem Ziel entgegen, als hätten sie Flügel. Dabei trug jedes Pferd ein Tuch um den Rücken geschnallt, auf das der Name des Besitzers gestickt war. Natürlich gab es auch Reiterwettkämpfe; sie waren der Höhepunkt vieler Feierlichkeiten. Die Teilnehmer, die in den Steigbügeln stehend ritten, trugen leichte Galarüstungen, mit Gold- und Silberspangen verziert, weich gegerbte Stiefel und Kappen aus Wolfs- oder Fuchsfell. Den Reitern war es verboten, ihre Pferde zu schlagen. Ihre Peitschen dienten lediglich dazu, den Tieren Signale zu geben. Tsering Sherab verbrachte viel Zeit bei seinen Pferden, die er über alles liebte. Er überwachte selbst ihre Nahrung, ihre Streu; war ein Tier krank, ging es ihm derart zu Herzen, dass er lieber im Stall auf einem Strohlager schlief, als bei sich in seinem weichen, warmen Himmelbett! Vielleicht kam das daher, dass unsere Familie ursprünglich aus Amdo stammte - der gleichen Gegend, in der auch Seine Heiligkeit, der Dalai-Lama, geboren wurde. Amdo, im Nordosten Tibets, ist die Welt der hohen Gebirge, die Heimat der stolzen Nomaden und der schnellsten Pferde. Hier schmieden die Männer sich selbst ihre Waffen und wissen
sie auch zu gebrauchen. Das ist noch heute so. Weil die Menschen aus Amdo als überaus scharfsinnig bekannt waren, gab es in jeder Generation einen Mann aus unserer Familie, der einen hohen Posten im Dienst der Regierung einnahm. Das Amt meines Urgroßvaters führte ihn nach Indien, China und Thailand - das damals Siam hieß -, ja sogar nach England und Japan. Über die Urgroßmutter, Tselhamo, weiß ich nicht viel. Sie begnügte sich wohl damit, die Frau eines reichen Mannes zu sein, brachte eines der ersten Grammophone nach Lhasa und brachte ihren Gästen westliche Gesellschaftstänze bei. Man tanzte gern bei den Partys. Sie führte auch fremde Speisen ein, unter anderem verschiedene Sorten Kuchen, auf dessen Zubereitung sich der alte Hausbäcker noch Jahrzehnte später verstand. Weil sie oft ihren Mann ins Ausland begleitete, sprach sie perfekt Englisch. Als junge Frau war Tselhamo sehr mutig, ritt in Männerkleidern durch gefährliche Gegenden, ihr Haar unter einem Filzhut verborgen. Später erkrankte sie an Tuberkulose, eine häufige Todesursache in Tibet, und erlebte nicht mehr das Glück zu sehen, wie ihre herangewachsenen Söhne ihre Familien gründeten.
    Der ältere, Tobgye Wangdu, wurde Beamter, wie sein Vater. Der zweite, Tenzin Samdup, wurde Arzt. Er verbrachte zehn Jahre in der Medizinschule am Berg Tschagpori, doch was er dort lernte, war ihm nicht fortschrittlich genug. Er ging für zwei Jahre nach Neu Delhi, arbeitete in einem Krankenhaus und lernte auch, operative Eingriffe durchzuführen, die in Tibet nicht nur unüblich, sondern aus religiösen Gründen verpönt waren. Tenzin weigerte sich, die westliche

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