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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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Medizin von der tibetischen zu trennen, und sagte: ›Heilmittel, die sich bewährt haben, müssen angewendet werden!‹ In Tibet gab es die uralte Methode, dass man die Nerven an der Handwurzel befühlte und die Frequenz des Pulsschlags beachtete. ›Ein guter Arzt‹, hieß es, ›horcht auf den Gesang des Blutes in den Adern.‹ Diese Art zu diagnostizieren wurde meistens von
Mönchen ausgeübt und war für die Bevölkerung sehr wichtig, denn jeder konnte sich kostenlos oder gegen ein kleines Geschenk Rat und Medikamente holen. Wieder in Lhasa, bewirkte Tenzins große Erfahrung, dass der Abt der städtischen Medizinschule, der zugleich auch der Leibarzt des Dalai-Lama war, ihn zu Rate zog. Ein sehr ehrenvolles Amt, denn Tenzin war kein Mönch. Obwohl auch er Pulsadern abtastete, und das mit größter Feinfühligkeit, missfiel konservativen Geistern seine innovative Gesinnung. Doch er gehörte bald zu den Vertrauten Seiner Heiligkeit, des dreizehnten Dalai-Lama. Begab sich dieser auf Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten des Buddhismus, war Tenzin immer dabei. So brachten die Zuneigung Seiner Heiligkeit und die vielen Gunstbeweise, mit denen er Tenzin ehrte, dessen Gegner allmählich zum Verstummen.
    Tenzins Frau Yangzom - meine Großmutter also - stammte aus einer alten Adelsfamilie, die große Ländereien ihr Eigen nannte. Sie war als Mädchen sehr schön gewesen. Ihr Haar war so lang und üppig, dass sie auf das künstliche Haarteil verzichten konnte, an dem die vornehmen Damen ihren Kopfputz aus Perlen und Korallen mit Jade-Spangen befestigten. Ich erinnere mich an sie als eine recht füllige Dame mit einem lustigen Grübchen am Kinn. Wenn sie lachte, klang es, als würden kleine Glöckchen geschüttelt. Sie spielte wundervoll Dran-nye, ein sechssaitiges Instrument, dessen langer Griff mit einem kunstvoll geschnitzten, hölzernen Pferdekopf verziert war. Yangzom sang dazu, und noch als ältere Frau hatte sie eine sehr reine, klare Stimme. Tenzin liebte es, ihr zuzuhören. Er selbst war ein stiller, sanftmütiger Mensch, von großem Wissensdurst erfüllt. Er schätzte die westliche Medizin als nützlich und wirkungsvoll. Er ließ medizinische Zeitschriften aus Amerika und Großbritannien kommen und hielt sich so auf dem Laufenden. Und er war ein erdverbundener Mann, der in der Natur las wie andere in einem Buch. Er kannte jede Menge Heilkräuter, -erden und -pflanzen, die er trocknete und
aus denen er Pulver gewann. Diese bewahrte er in einem kühlen, trockenen Raum in verschieden beschrifteten Ledersäckchen auf. Mit seinen Heilmitteln vermochte er Verletzungen zu heilen und Krankheiten zu lindern. Er hatte erstaunliche Entdeckungen gemacht: zum Beispiel, dass es einen besonderen Tonlehm gibt, der, mit reinem Wasser vermischt, zum natürlichen Labor wird, in dem sich das ursprüngliche Penicillium - später als Penizillin bekannt - entwickelt. Dass Torfumschläge auf Prellungen kühlend und heilend wirken. Dass die Spinnennetze, die gelehrte Mönche seit Menschengedenken auf Wunden legen, reich an Kalkphosphat sind. ›Wie hochmütig ist doch der Mensch!‹, sagte Tenzin. ›Er glaubt, etwas zu erfinden, das in Wirklichkeit schon lange da ist.‹ Mit gutem Erfolg benutzte er auch Musik, besondere Tonsequenzen, um Gemütskranke zu heilen. Doch über alles schätzte er die Wirkung der Steine. Er suchte ihren Geist, erkannte ihre verborgenen Heilkräfte, ihre Macht. Geomantik ist eine sehr alte Form der Wissenschaft, die Tenzin zunehmend in ihren Bann zog. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, zu Pferd durch die Berge zu streifen, auf der Suche nach Steinen, von denen er überzeugt war, dass sie eine Botschaft für die Menschen trugen. Dabei wurde er stets von einer Anzahl Gefolgsleute auf Maultieren begleitet, die für sein leibliches Wohl sorgten und Spaten und Hacken bei sich hatten, um gewisse Steinsorten für ihn auszugraben. Alle waren gut bewaffnet, denn es gab Räuber in den einsamen Gegenden. Die Dienstboten hatten jedoch den Befehl, Tenzin in einigem Abstand zu folgen. Denn für ihn war das Reiten, das Einssein mit seinem Pferd, mit der Natur, ein meditativer Vorgang. Und der einzige Mensch, den er auf seinen Streifzügen neben sich duldete, war seine Tochter Longsela.
    Sie begleitete ihren Vater, seit sie acht oder neun Jahre alt war. Sie ritt einen eigenwilligen kleinen Rappen, der den Namen Jo-Jo trug, was so viel wie ›älterer Bruder‹ bedeutet.
Sie liebte ihr Pferd von Herzen, sodass sie es

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