Das Haus der toten Mädchen
ich nicht in der Stimmung. Im Moment jedenfalls nicht. Aber das kann sich jederzeit ändern.“ In diesem gelangweilten Tonfall hätte er ebenso gut über den Nachmittagstee plaudern können.
„Wer bist du?“
„Für wen hältst du mich denn?“ erkundigte er sich. „Benutz gefälligst dein Gehirn.“
Allmählich wurde sie wirklich sauer – allerdings nicht genug, um die zweifelhafte Sicherheit seines Wagens zu verlassen. „Ich weiß es nicht! Bis jetzt habe ich nur herausgefunden, dass du kein Reporter bist, kein Bulle und kein Anwalt. Das lässt eine Menge Möglichkeiten offen.“
„Schon falsch. Ich
bin
Anwalt“, erwiderte er so kühl wie die Brise vom See. „Aber das ist nicht alles. Nach allgemeiner Überzeugung habe ich hier vor zwanzig Jahren drei Mädchen umgebracht. Man nannte mich den Northeast-Kingdom-Mörder.“
Er äußerte das mit so ruhiger, sachlicher Stimme, dass sie es ihm im ersten Augenblick abnahm und ihr Magen sich vor Panik zusammenkrampfte. Aber dann kehrte ihr gesunder Menschenverstand zurück.
„Aber klar“, konterte sie. „Deshalb ist dieser Ort auch mit Leichen gepflastert, seit du zurück bist.“
Er lächelte spöttisch. „Du glaubst mir nicht? Denk nach, Sophie. Wo hast du den Namen Thomas Griffin schon mal gelesen? Unter deinen albernen Rüschen steckt doch ein kluges Weib – es wird dir schon wieder einfallen.“
Ihre kurzfristige Erleichterung verabschiedete sich. Sie erinnerte sich an das Foto des Killers in der Zeitung, an die unscharfe Gestalt, die dem Mann auf der Veranda überhaupt nicht ähnlich sah. Der Kerl hatte eine Sonnenbrille und einen Bart getragen, und auf seine eine Hüfte war eine Schlange tätowiert, und sein Name war …
Thomas Griffin.
„Ich glaube dir nicht“, entgegnete sie, aber ihre Stimme zitterte.
„Oh doch, das tust du. Du warst so damit beschäftigt, dich über deine Mutter und deine Schwester zu grämen, dass du nicht in der Lage warst, die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich vermute mal, Doc hat es schon vor einer Weile herausgefunden, aber aus irgendwelchen Gründen hat er mich noch nicht damit konfrontiert. So, wie er diese kleine Stadt und ihre jungen Frauen immer beschützt und umsorgt, hätte er eigentlich schon viel früher dahinterkommen müssen.“
„Er hat mich vor dir gewarnt. Und ich dachte, er würde maßlos übertreiben.“
„Hat die Warnung gefruchtet? Sieht nicht danach aus, oder?“ Er beantwortete sich die Frage selbst: „Du bist schließlich hier.“
„Wenn du mir etwas antust, werden sie wissen, dass du es warst.“
„Ich werde dir nichts tun.“
„Warum hältst du mich dann in deinem Auto fest?“
„Hab ich nicht. Du bist hier aufgekreuzt und hast in meinen Sachen herumgeschnüffelt, und dann hast du dich selbst eingesperrt. Ich kann die Türen jederzeit entriegeln, wenn ich will.“
„Ich werde sie wieder absperren.“
„Herzchen, ich sage es dir nicht gerne, aber ich bin stärker als du. Ich habe bereits unter Beweis gestellt, dass ich die Tür öffnen kann, selbst wenn du mit deinem ganzen Gewicht am Griff zerrst.“
„Keine weiteren Anspielungen auf mein Gewicht“, zischte sie. Ihre Angst schlug in Entrüstung um.
Er lachte. „Anders weiß ich dich aber nicht zu knacken. Außerdem weißt du genau, wie köstlich du bist.“
„Köstlich?“
„Zum Reinbeißen“, sagte er mit betörender Stimme. „Überaus saftig.“
„Dass der Northeast-Kingdom-Mörder Kannibale war, ist mir neu“, erwiderte sie.
„Nicht im herkömmlichen Sinne des Wortes. Wie soll ich es ausdrücken? Du weckst meinen Appetit.“
Sie zitterte und wusste nicht recht, wieso. Die Nacht war außergewöhnlich warm, und im Auto war es eher heiß und stickig. Und doch fröstelte sie. Sie musste nach Hause, um nach Grace und Marty zu schauen. Sie musste sich abkühlen, ihre Kleidung abstreifen. Sie betrachtete ihn und beobachtete, wie er im Mondlicht auf der Veranda saß und sich offensichtlich über sie amüsierte. Oh mein Gott, sie hatte mit einem Mörder geschlafen! Schlimmer noch, sie wollte es wieder tun.
„Wenn du der Northeast-Kingdom-Mörder bist, wie viele Menschen hast du umgebracht?“ wollte sie wissen. Er regte sich nicht vom Fleck, guckte sie nur unverwandt an. Wie ein Chefkoch, der überlegte, was genau er mit diesem drallen jungen Hühnchen anstellen würde.
„Ich bin für den Mord an einer Frau verurteilt worden und habe fünf Jahre gesessen“, verkündete er mit kühler, emotionsloser
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