Das Haus der toten Mädchen
…“
„Unsinn. Ich habe ein Beruhigungsmittel mitgebracht, und sobald ich es ihr gespritzt habe, wird sie schlafen wie ein Stein. Ich lese unterdessen ein gutes Buch. Außerdem kann ich überall schlafen, zur Not auch im Stehen. Ein Überbleibsel meiner Zeit als Assistenzarzt.“
„Das wäre zu viel verlangt …“
„Genug davon, junge Frau. Es ist auch zu viel verlangt, dass Sie die Last ihrer verwirrten Mutter allein tragen sollen. Was hat sie diesmal so aus dem Häuschen gebracht? Als ich gegangen bin, hatte sie sich doch einigermaßen im Griff.“
Sophie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Sie fing plötzlich an, über diese Morde zu schwadronieren. Sie meinte, Sie würden uns alle umbringen.“
„Ach?“ Doc klang eher amüsiert als beunruhigt. „Und woher will sie das wissen?“
„Offenbar haben die Blumen zu ihr gesprochen“, erwiderte Sophie. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen.
„Das ist einer der unersprießlichen Aspekte der Altersdemenz: Die Fantasien sind offenbar nie positiv. Sprechende Blumen sollten doch nun wirklich etwas Schönes mitzuteilen haben, anstatt über Tod und Mord zu reden.“
„Ich weiß nicht …“ Sie holte tief Luft, um die Fassung wiederzugewinnen.
„Ich glaube, Sie brauchen jetzt eine schöne Tasse Tee und einen ungestörten Nachtschlaf.“
Sophie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Aber Ihnen mache ich gerne einen Tee.“
„Um mich müssen Sie sich nicht kümmern, Sophie. Ich bin hier, um
Ihnen
unter die Arme zu greifen. Ich setze mich einfach zu meiner Patientin, und Sie tun unterdessen, was auch immer Ihnen hilft, sich zu entspannen. Nehmen Sie ein heißes Bad, lesen Sie ein Buch. Und vergessen Sie uns so lange – wir kommen zurecht. Falls Sie schon schlafen, wenn Marty nach Hause kommt, werde ich ihr erklären, dass Sie müde waren und früh ins Bett gegangen sind.“
„In Ordnung“, antwortete sie und verkniff sich weitere Einwände. Schlafen konnte sie jetzt nicht. Sie war unruhig, voller Sorgen, zutiefst bekümmert. Sie musste hier raus, fort von allem, fort von Doc und Grace, zumindest ein Weilchen. Sie brauchte die Weite, um nachzudenken und frei zu atmen.
Sie wusste, was Doc dazu sagen würde. Er war ebenso paranoid wie ihre Mutter, nur dass er John Smith für das Böse selbst hielt. Wenn sie sich vor jemandem fürchtete, dann vor dem unerbittlichen Zebulon King. Er kam ihr wie einer dieser Patriarchen des Alten Testaments vor, die gerne harte, vermeintlich gerechte Strafen austeilten. Bis vor ein paar Tagen hatte sie allerdings selbst zur Sorte der Selbstgerechten gehört, aber wer konnte schon wissen, was im Kopf eines religiösen Fanatikers so vor sich ging?
Solange sie sich von allen fern hielt, konnte ihr nichts passieren. Doc würde es dennoch missbilligen. Er brauchte ja nicht zu erfahren, dass sie das Haus verlassen hatte. Er würde vermutlich annehmen, dass sie in ihrem Zimmer eingeschlafen war.
„Rufen Sie mich, wenn Sie etwas benötigen“, meinte sie.
„Das wird nicht nötig sein. In ihrem tiefsten Inneren vertraut Grace mir noch immer, trotz ihres Wahns. Ich kann Ihnen versichern, dass wir zurechtkommen.“
Sophie beugte sich vor und küsste Docs weiche, rasierte Wange. „Danke für alles, Doc. Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne Sie machen würde.“
18. KAPITEL
S ophie tat wirklich ihr Bestes, um der Versuchung zu widerstehen. Sie nahm ein heißes Bad und beschloss danach aus unerfindlichen Gründen, etwas von dieser albernen Unterwäsche anzuziehen, die Grace ihr immer gekauft hatte. Es war ein Running Gag der Familie, den Grace jedes Jahr zu Weihnachten und an Sophies Geburtstag kultivierte: Sie beglückte ihre spießige Tochter mit unpraktischer Spitzenwäsche, die Sophie dann in ihren Schubladen verschwinden ließ. Als sie jetzt ihre Sammlung betrachtete, erinnerte sie sich daran, wie ihre Mutter früher gewesen war: ein bisschen verdorben, scharfzüngig und gewitzt. Jetzt war diese quicklebendige Frau nur noch ein Schatten ihrer selbst, und Sophie hätte am liebsten geweint.
Sie riss sich zusammen: Tränen waren Zeitverschwendung. Entschlossen nahm sie die verruchte Wäsche aus der Schublade, entfernte die Schildchen und zog sie an. Der BH ließ sie noch üppiger erscheinen, als sie – leider – ohnehin schon war, und das Höschen war kaum mehr als ein String-Tanga. Sie ließ sie trotzdem an und betrachtete sich in dem leicht unebenen Spiegel auf ihr Kommode.
Nicht schlecht, wenn man
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