Das Haus der toten Mädchen
gewesen, hatte nur durch die Fenster hineingelinst, aber es sah genauso aus – und roch auch so –, wie sie es sich vorgestellt hatte. Das Mobiliar war alt und massiv: ein Sofa und ein Tisch im
Mission Style
, die vermutlich ungefähr zur gleichen Zeit gebaut worden waren wie das Haus, zwei robuste Schaukelstühle, ein großer Tisch mit Stühlen. Der Kamin aus Feldsteinen enthielt nichts als Asche, in den Bücherregalen lag herum, was die Urlaubsgäste im Laufe der Jahre zurückgelassen hatten: gekürzte Klassiker von „Reader’s Digest“ und Krimi-Taschenbücher. Der Boden knarrte unter ihren Schritten, und im Teppich hatten sich Mäuse breit gemacht. Und wenn ihr der so genannte Mr. Smith dieses Wrack von einem Haus vor der Nase wegkaufte, würde sie ihn umbringen.
Wenn es auch nur die geringste Chance gegeben hätte, dieses Gebäude in ein Bed and Breakfast zu verwandeln, hätte sie es längst erworben. Das Niles-Haus war größer, hatte eine längere Vorderseite zum See hin und einen ausgedehnten Hintertrakt, den man irgendwann in den Betrieb integrieren konnte. Aber das Whitten-Haus hatte sie sofort ins Herz geschlossen, es war ein im Wald verborgenes Juwel am See.
„Was halten Sie davon?“ erkundigte er sich. Er schien ihr ihren Neid nicht anzumerken.
„Ich glaube, dass Sie eine halbe Armee brauchen werden, um dieses Haus zu entrümpeln“, erklärte sie geradeheraus. „Die Fliegengitter fehlen, der Schornstein muss wahrscheinlich gefegt werden, an den Kissen haben Tiere herumgenagt. Wie sieht das Dach aus?“
„Ich habe nicht die geringste Idee“, meinte er trocken.
Ohne nachzudenken, stieg sie die lange, enge Treppe zum Obergeschoss hinauf. Vom mittigen Flur gingen vier Schlafzimmer und ein Bad ab. Die Badewanne war mit Rost überzogen, und ihre Löwenfüße standen auf einem aufgesprungenen und zerrissenen Linoleumboden. Die drei unbewohnten Schlafzimmer rochen nach Mäusen und Schimmel, das vierte war etwas wohnlicher.
Es hatte ebenfalls einen Kamin, der vermutlich mit demselben armen Schornstein verbunden war. Das alte Eisenbett war hoch und breit. Ein Quilt und unzählige Kissen bedeckten es, die den Mäusen irgendwie entgangen sein mussten. Die Flügelfenster, durch die man den See sah, standen sperrangelweit offen, und direkt vor ihnen stand ein Korbstuhl. Daneben lag ein aufgeschlagenes Buch auf dem Boden, und sie ging neugierig darauf zu. Dann wurde ihr bewusst, dass Mr. Smith ebenfalls die Treppe heraufgestiegen war, nun am Türrahmen lehnte und beobachtete, wie sie sein Schlafzimmer inspizierte.
„Ich schätze, das Dach muss neu gedeckt werden“, verkündete sie. „Oder zumindest ausgebessert.“
„Ach ja?“
Der Mann war wirklich eine Nervensäge: Er sagte entweder zu viel oder zu wenig. „Schauen Sie sich die Wasserflecken an der Decke an, hier über dem Kamin“, fuhr sie fort. „Das Dichtungsblech muss repariert werden. Und über den Fenstern hat sich die Decke auch verfärbt. Vielleicht bloß Frostschäden durch falsche Beheizung, aber da das Haus im Winter nicht genutzt worden ist, halte ich das nicht für wahrscheinlich. Niemand hat den Schnee vom Dach geräumt, also gab die Konstruktion vermutlich unter seinem Gewicht nach. Das müssen Sie unbedingt überprüfen lassen, sonst kommt das Ganze eines Tages auf Sie runter, wenn Sie gerade im Bett liegen.“
Verflixt, warum hatte sie dieses Wort erwähnt? Instinktiv drehten sich beide zu seinem Bett um und blickten es versonnen an. „Und das wäre doch schade, nicht?“ entgegnete Mr. Smith. „An wen wende ich mich deswegen?“
Das dicke Buch neben dem Stuhl erweckte noch immer ihre Neugier, und Sophie wollte das Zimmer nicht eher verlassen, bis sie den Titel entziffert hatte. „Hank Maynard reinigt Schornsteine. Zebulon King ist Zimmermann, und wenn sie mit dem restlichen Sommervolk nicht schon ausgelastet sind, können Sie vielleicht auch seine Frau und seinen Sohn anheuern, um alles sauber zu machen. Sie sind etwas seltsam, arbeiten aber tüchtig.“
„Sommervolk? Gehöre ich dazu?“ Der Begriff schien ihn zu amüsieren.
„So nennt man hier die Leute, die den Sommer hier verbringen und sich verziehen, bevor es richtig kalt wird. Sie sind ein Sommertyp.“
„Was lässt Sie hoffen, dass ich mich verziehen werde?“
Sie ignorierte seine Frage. „Wie stehts mit den Leitungen?“
„Wollen Sie sich nicht selbst ein Bild machen?“ erkundigte er sich. „Sie sind ziemlich gründlich.“
Sie zuckte nicht
Weitere Kostenlose Bücher