Das Haus der toten Mädchen
der zuvor ein Mörder sein Unwesen getrieben hatte.
Sara Ann Whitten gegenüber war es kein feiner Zug, aber er klammerte sich an den Gedanken, dass sie ermordet und hier irgendwo verscharrt worden war. Denn das würde zweifelsfrei beweisen, dass er keines der Mädchen umgebracht hatte: dass nicht er jener Serienmörder war, der seine Opfer unter den jungen Frauen der einheimischen Bevölkerung gesucht hatte. Zumindest ihm selbst würde das als Beleg seiner Unschuld ausreichen, und er hätte seinen Seelenfrieden wieder.
Er langte nach seinem Notizbuch, steckte die Namensliste hinein und legte selbst eine Liste an. Erstens: in den Krankenhaustrakt eindringen und herausfinden, ob das seinem Gedächtnis auf die Sprünge half.
Zweitens: so viel wie möglich über Sara Ann Whitten herausfinden. Wann sie von der Bildfläche verschwunden war, mit wem sie damals Umgang gehabt hatte, was die Leute von ihrem Verschwinden hielten. Eruieren, ob noch irgendwelche ihrer ehemaligen Freunde hier lebten, die vielleicht etwas von ihr gehört hatten.
Drittens: das Whitten-Haus nach irgendwelchen Hinweisen auf ihr Schicksal durchstöbern.
Viertens: herausfinden, ob die Familien der Mordopfer noch in Colby lebten und ob es eine Chance gab, mit ihnen zu reden, ohne dass sie ihn wiedererkannten.
Fünftens: sich von Sophie Davis und ihrem geilen Schwesterchen und ihrer durchgeknallten Mutter mit dem alarmierend scharfen Blick fern halten. Und auch Doc Henley nach Möglichkeit aus dem Wege gehen.
Und das war erst der Anfang. Er vermutete, dass er ein paar Wochen Zeit haben würde, vielleicht weniger, wenn es früh kalt wurde. Er konnte nicht noch mehr kostbare Lebenszeit damit verplempern, nach Antworten zu suchen, die er vielleicht nie erhalten würde. Die Sache hatte ihm bereits fünf Jahre geraubt, die ihm niemand zurückgeben konnte. Wenn er die Wahrheit herausfand, würde ihn das in die Lage versetzen, die Sache abzuschließen und wieder nach vorn zu blicken. Hoffentlich.
Höchste Eisenbahn, sich an die Arbeit zu machen. Er zückte sein Mobiltelefon und tippte eine Nummer ein. Dann erst fiel ihm auf, dass er keinen Signalton hörte. Funkstille.
Er drehte das Blatt wieder um und schrieb einen weiteren Punkt unter Sophies Liste:
Das Scheiß-Telefon anschließen lassen!
Dann schob er sein Handy in die Tasche zurück.
„Er ist ein Reporter.“
„Bitte?“ Marge guckte sie verwirrt an. „Wer denn?“
„John Smith. Wenn er denn wirklich so heißt. Er recherchiert über Serienmörder; sein ganzes Schlafzimmer ist voll mit juristischen und medizinischen Werken und Fallstudien.“
„Sein Schlafzimmer?“ hakte Marge verdutzt nach. „Wie, zum Teufel, hast du das so schnell geschafft? Ich habe dich für die heilige Jungfrau gehalten.“
Sophie warf ihr einen verärgerten Blick zu. „Ich habe ihm geholfen.“
„Ganz bestimmt hast du das.“
„Er hat mich gebeten nachzuschauen, was im Whitten-Haus alles getan werden muss, also habe ich es ihm gezeigt. Ich habe ihm erklärt, wen er damit beauftragen kann und dass er dir die Rechnungen schicken soll.“
„Das ist nicht dein Ernst“, meinte Marge entsetzt.
„Das
ist
mein Ernst“, bekräftigte Sophie seelenruhig. „Sobald sich die Stadt dazu durchringt, den alten Kasten zu verkaufen, wirst du das Geld wiedersehen. Bis dahin kannst du es von den Mieteinnahmen begleichen.“
„Die Stadt kassiert die Miete ein, um die Steuerschuld zu mindern.“
„Dann sag ihnen, dass sie mir das Haus verkaufen sollen.“
„Das kannst du dir im Augenblick nicht leisten.“
„Da hast du Recht“, räumte Sophie mürrisch ein, während sie auf ihr Stück Pfirsichkuchen einstach. Die beiden Frauen saßen auf der Veranda. „Dann kommt mir der Typ womöglich zuvor. Er behauptet zwar, er wolle nicht kaufen, aber ich glaube ihm kein Wort. Wenn sich ausgerechnet hier ein Fremder mit einem Koffer voller Bücher über Serienmörder einnistet, dann nur, weil er irgendeinen Plan verfolgt. Aber warum, zum Teufel, sollte er das Haus kaufen wollen? Er hat sicher nur versucht, mir einen Schrecken einzujagen. Tja, aber wieso?“
Marge unterbrach ihre wirre Grübelei: „Und er hat dir wirklich mitgeteilt, dass er ein Reporter ist?“
„Natürlich nicht. Und ich kann mich irren – vielleicht ist er kein Journalist, sondern Autor, und er schreibt diese True-Crime-Thriller, die meine Mutter so gern gelesen hat. Ich möchte wetten, wenn ich ihre Bücher durchgucke, stoße ich auf eins, das sein Foto
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