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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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sich auf Augenhöhe mit Griffin. „John Smith.“ Er hätte sich wirklich einen interessanteren Namen zulegen sollen; John Smith war viel zu gewöhnlich, um glaubwürdig zu klingen.
    Gracey schien jedoch nicht misstrauisch zu werden. „Wie schön“, flötete sie sanft. „Was führt Sie nach Colby, Mr. Smith? Und vor allem: an diese Seite des Sees?“
    Vielleicht hatte er sich ihren wachen Blick nur eingebildet, denn ihre Wisperstimme und ihr ganzes Verhalten vermittelten einen anderen Eindruck. Wenn sie Sophies Mutter war, konnte sie nicht viel älter als Mitte sechzig sein – eher jünger. Sie wirkte jedoch wie eine Kandidatin fürs Pflegeheim.
    „Ich suche die Stille und Abgeschiedenheit, Mrs. Davis“, erwiderte er. „Colby scheint mir ein nettes, angenehm langweiliges Örtchen zu sein, in dem man ein paar gute Monate verleben kann.“
    „In spätestens drei Monaten wird es Schnee geben“, sagte Gracey mit ihrer Singsangstimme. „Ich glaube nicht, dass Sie es dann noch hier aushalten werden.“
    „Warum nicht? Gegen ein bisschen Schnee habe ich nichts einzuwenden.“
    „Vermutlich weil das Whitten-Haus nicht winterfest ist“, mischte Doc sich freundlich ein. „Wenn Sie nicht erfrieren wollen, sollten Sie sich nach einer anderen Bleibe umsehen, denn dieses Haus für den Winter zu rüsten dürfte mehr kosten, als man für ein Mietobjekt ausgeben sollte. Aber ich kann mir ohnehin nicht vorstellen, dass Sie so lange bleiben. Außerhalb der Hauptsaison gibt es hier kaum Arbeit. Die meisten Leute fahren jeden Tag bis Montpelier oder Burlington.“
    Griffin lächelte dünn. Er wollte Docs geschickten Aushorchversuch nicht mit weiteren Informationen belohnen. „Damit werde ich mich befassen, wenn es so weit ist“, entgegnete er gelassen. „Vorerst genieße ich einfach die Ruhe.“
    Doc drehte sich um und blickte auf den See hinaus. Das Sonnenlicht zwang ihn, die Augen zusammenzukneifen. „Der Schein kann trügen, mein Junge. Dieses Städtchen ist bei weitem nicht so verschlafen, wie es wirkt. Das sind die wenigsten Orte.“
    Die Gelegenheit war ideal, und es wäre dumm gewesen, sie ungenutzt verstreichen zu lassen. „Denken Sie an etwas Bestimmtes?“
    „Mord“, verkündete Gracey mit wohligem Schauern und strich sich ihr dünnes graues Haar aus dem Gesicht. „Jede Menge ungelöste Kriminalfälle im Northeast Kingdom, auch in unserem friedlichen kleinen Colby.“
    Griffin zuckte mit den Achseln. „Sie meinen diese Mädchen, die vor fünfundzwanzig Jahren umgebracht worden sind? Man hat mir davon erzählt. Aber es hieß, der Mörder sei gefasst worden.“
    „Vor zwanzig Jahren“, korrigierte Doc. Griffin wusste nur zu gut, wie lange es her war, seit Lorelei, Valette und Alice gestorben waren. Auf den Tag genau. „Und sie haben den Jungen erwischt, stimmt. Haben ihn hinter Gitter gebracht, aber wegen eines Formfehlers ist er schon nach ein paar Jahren auf freien Fuß gesetzt worden. Manche behaupten auch, er wärs gar nicht gewesen – dass er nur ein willkommener Sündenbock war.“
    Das hörte Griffin zum ersten Mal. Er hatte den Eindruck gehabt, die ganze Stadt wäre geschlossen von seiner Schuld überzeugt gewesen. Nur gut, dass das Lynchen im Northeast Kingdom nicht üblich war, sonst stünde er jetzt nicht hier. „Ach ja?“
    „Andere Leute gehen davon aus, dass er nicht nur diese drei umgebracht hat, sondern noch mehr Mädchen, und dass er eines Tages zurückkehren wird, um sein Werk zu vollenden“, fuhr Doc fort.
    Griffin blinzelte nicht einmal. „Tja, aber wo bleibt er? Wahrscheinlich ist er selbst längst tot.“
    „Der nicht“, erwiderte Doc. „Der ist hart im Nehmen. Nichts kann den kaputt kriegen, das Gefängnis nicht und auch sonst nichts.“
    „Glauben Sie, dass er es war?“ fragte Griffin. Sobald er es ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er einen Fehler gemacht hatte.
    Doc fixierte ihn lange und eingehend mit seinen blassblauen Augen. „Ich weiß es nicht. Es gab Zeiten, da habe ich diesen Kerl für das Böse schlechthin gehalten. Und dann wieder hatte ich den Eindruck, dass er nur eine verlorene Seele war. Ich bin schon der Ansicht, dass er sie ermordet haben könnte. Aber ich vermute, er hat es nur tun können, weil ihm irgendwelche Drogen oder so den Geist vernebelt haben.“
    Nicht sehr hilfreich, dachte Griffin bitter. Und jetzt starrte Doc ihn mit diesem seltsamen Ausdruck an, als könne er die Brille mit dem Drahtgestell, das lockige Haar und das glatt

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