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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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fuhr, konnte ihr kaum entgangen sein. „Wen?“
    „Ich erinnere mich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass jemand getötet worden ist. Ich glaube nicht, dass es Sophie war, aber man kann sich nie sicher sein. Sie haben Sophie nicht umgebracht, junger Mann, oder?“
    Er antwortete ihr nicht. Dazu gab es nichts zu sagen, selbst wenn er die Wahrheit gekannt hätte.
    Aber Grace schien auch gar keine Antwort zu erwarten. „Natürlich haben Sie das nicht, mein Lieber“, verkündete sie und tätschelte beruhigend seinen Arm. „Denken Sie etwa, ich würde mich mitten in der Nacht hier mit Ihnen herumtreiben, wenn Sie ein Mörder wären?“
    Er schaute auf sie hinab. Er wusste sie noch immer nicht richtig einzuschätzen: Spielte sie ihnen allen einen Streich und machte nur auf verrückte alte Tante – oder war sie wirklich senil? Wenn sie Sophies Mutter war, konnte sie nicht furchtbar alt sein, aber sie wirkte sehr gebrechlich. Er war daran gewöhnt, dem ersten Anschein zu misstrauen. Vielleicht gaukelte sie ihm etwas vor, vielleicht nicht. Vielleicht fielen ihr gerade deshalb Dinge auf, die anderen Leuten entgingen, weil sie so benebelt war. Oder sie erkundigte sich bei jedem, ob er ein Mörder sei.
    Wenn dem so war, konnte sie sich selbst ganz schön in die Bredouille bringen. Denn irgendjemand hatte die drei Mädchen umgebracht – und wenn nicht
er
derjenige war, konnte es jederzeit weitere Morde geben.
    Seine törichte Hoffnung, dass Sophie das Verschwinden ihrer Mutter vielleicht gar nicht aufgefallen war, zerschlug sich, als sie das Ende des Pfades erreicht hatten. Das Hauptgebäude des Gasthauses war hell erleuchtet, und auf der Veranda meinte er eine Frau zu erkennen, die in die Dunkelheit hinausstarrte. Immerhin standen keine Polizeiautos vor dem Haus – überhaupt keine Autos außer Sophies Subaru-Jahreswagen.
    „Huhu, Liebes, ich bin wieder da!“ rief Grace fröhlich. „Und warte erst, bis du siehst, wen ich mitgebracht habe.“
    „Ich gehe jetzt zurück“, sagte Griffin und versuchte sich aus ihrem erstaunlich festen Griff zu befreien. „Ihre Tochter wird Sie jetzt übernehmen.“
    „Ich fürchte, ich schaffe es nicht bis zum Haus“, meinte Grace mit zittriger Stimme, und die alte Dame kam ihm plötzlich sehr hinfällig vor. „Ich bin sehr, sehr erschöpft.“ Wie um das zu unterstreichen, schienen ihre Knie nachzugeben, und ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Arm um ihren schmalen Körper zu legen und ihr – im Stillen fluchend – den kleinen Hang zur Veranda hinaufzuhelfen.
    „Was, zum Teufel, haben Sie mit meiner Mutter gemacht?“ Sophie eilte über die Veranda wie ein Racheengel. Sie trug ein weißes Spitzennachthemd, das eher wie ein Hochzeitskleid aus der Epoche Edwards VII. aussah als wie etwas, das man zum Schlafen anzog, und ihr Haar war offen. Er hatte bisher nicht bemerkt, wie lang ihr Haar war. Im Licht der Deckenlampe wirkte es voll und warm, und er wollte es berühren. Sie war barfuß und hatte sich ein Schultertuch umgelegt.
    „Ich habe Ihr verlorenes Lamm heimgeführt“, erwiderte er. „Ich entdeckte sie vor einer halben Stunde in meiner Küche.“
    „Finden Sie nicht, dass es eine gute Idee gewesen wäre, mich anzurufen und zu informieren, bevor ich vor Angst durchdrehe?“
    „In Anbetracht des Umstandes, dass ich Ihre Telefonnummer nicht kenne, mein Telefon nicht angeschlossen ist und mein verdammtes Handy hier am Arsch der Welt nicht funktioniert, kam das leider nicht in Frage, obwohl es zweifellos eine ausgezeichnete Idee gewesen wäre. Dann hätten Sie sie nämlich abholen können, und ich hätte nicht mitten in der Nacht hierher latschen müssen.“
    Grace schien ihre Kräfte auf mysteriöse Weise wiedergewonnen zu haben. Sie löste sich von ihm und peste – schwungvoll wie ihre Stieftochter – zur Veranda hinauf. „Ich geh jetzt ins Bett, Sophie“, verkündete sie. „Lass mich nicht zu lange schlafen. Ich habe viel zu erledigen.“
    „Was denn?“
    „Oh, alle möglichen interessanten Dinge“, entgegnete sie. „Und er hat niemanden umgebracht. Das hat er mir versichert.“
    „Wer?“ fragte Sophie schnell, aber Grace war bereits, selig summend, durch die Haustür entschwunden.
    „Ich. Sie hat mich gefragt, ob ich ein Mörder bin, und ich habe verneint.“ Er sollte aufbrechen und ins Bett zurückgehen, aber irgendwie konnte er sich nicht aufraffen. Also stand er weiter im Mondlicht und bestaunte Sophies lächerliches Nachthemd. Nur einen Moment

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