Das Haus der toten Mädchen
Niles-Haus war die ideale Feuerfalle und würde brennen wie Zunder, und wenn die freiwillige Feuerwehr endlich aus den Nachbarorten anrückte, wäre es längst zu spät. Alle würden glauben, dass dieses junge Luder aus Versehen eine brennende Zigarette liegen gelassen hatte. Und wenn die Feuersbrunst weitere Menschenleben forderte – nun ja, in einem heiligen Krieg waren unschuldige Opfer unvermeidlich.
Er würde für ihre Seelen beten.
7. KAPITEL
A ls Marty aufwachte, stach ihr gleich das Sonnenlicht in die Augen, und sie fluchte. Es war noch längst nicht Mittag, und draußen vor ihrem offenen Fenster schien die Sonne so grell, dass sie bestimmt gleich Kopfschmerzen bekam. Grollender Lärm hatte sie aus dem Schlaf gerissen, ein ungleichmäßiges Brummen wie von einem überdimensionalen Zahnarztbohrer, und sie tastete auf dem Nachttisch nach ihren Zigaretten. Sophie hatte ihr das Rauchen im Gasthaus untersagt, also tat Marty ihr Bestes, sich bei jeder Gelegenheit einen Glimmstängel anzustecken. Doch sie fand nur eine leere, zerknautschte Packung.
Sie schob die Decke weg und setzte ihre Füße auf den hellen Holzboden. Alles war so unscharf, wie sie es gewohnt war, und sie nahm ihre Brille aus der Schublade und setzte sie sich auf die Nase. Als ihr Zimmer schlagartig aus dem Nebel auftauchte, seufzte sie unwillkürlich vor Erleichterung. Wenn Sophie ihr doch endlich eine Laseroperation erlauben würde, dann müsste sie sich nicht mehr mit diesen blöden Kontaktlinsen herumschlagen! Auch Monatslinsen wären schon ein Fortschritt, aber sie konnte sich nicht an die Dinger gewöhnen, und so musste sie jeden Morgen mit dieser Brille leben, bis sie bereit war, das Zimmer zu verlassen. Sie hätte sich niemals vor irgendwem blicken lassen, bevor sie ihre Haftschalen eingesetzt hatte.
Der furchtbare Lärm schwoll noch weiter an, und sie ging zu den Fenstern hinüber, durch die man den Rasen seitlich des Gebäudes sehen konnte. Sie griff nach dem Schieberahmen, um ihn herunterzuziehen, doch dann entdeckte sie den jungen Mann.
Sein Oberkörper war entblößt, und er schwang eine Motorsäge – umsichtig, aber mühelos. Einen Augenblick lang starrte sie auf ihn hinab und ergötzte sich am Spiel der Muskeln unter der gebräunten Haut und seinen kontrollierten, flüssigen Bewegungen und vergaß darüber das Atmen.
Er musste gespürt haben, dass ihn jemand beobachtete. Jedenfalls guckte er hoch, aber sein Gesicht blieb unter dem Schirm seines Schutzhelmes verborgen. Sie erkannte nur, dass er geradewegs zu ihr hochschaute, und sie stand direkt am Fenster, mit nichts als einem Schlabber-T-Shirt bekleidet, mit zerzaustem Haar und einer Brille auf der Nase.
Gerade als die Kettensäge stotternd verstummte, machte sie einen Satz rückwärts. Auf gar keinen Fall würde sie wieder an dieses Fenster treten. Denn einerseits konnte sie nicht zulassen, dass irgendjemand sie mit dieser Brille erblickte, und andererseits würde sie absolut nichts sehen können, wenn sie das Ding abnahm.
Wo, zum Teufel, war der dämliche, schlaksige Junge, der normalerweise den Rasen mähte und die anderen Gartenarbeiten erledigte? Er war völlig uninteressant gewesen, und sie hatte sich schon in ihr Schicksal gefügt: Der Sommer würde öde werden. Zweifellos war genau das ein Grund, warum Sophie sie hierher verschleppt hatte. Es gab absolut keine gut aussehenden Jungs. Nicht, dass sie sexbesessen gewesen wäre. Sie mochte Jungs einfach. Sehr sogar.
Wenn sie an den muskulösen Oberkörper dieses jungen Mannes da draußen dachte, erschien ihr ihre Lage schon nicht mehr ganz so trostlos. Hoffentlich passte sein Gesicht zum Körper. Ein paar ihrer Freundinnen waren der Ansicht, dass es darauf nicht ankam, aber so abgebrüht war sie noch nicht, dass ein hübsches Gesicht sie kalt ließ. Doch sie arbeitete daran.
Manchmal war es ihr so vorgekommen, als hätte Sophie ganz gezielt die allerhässlichsten Leute aus ganz Nord-Vermont engagiert, um das alte Gasthaus in Schuss zu bringen. Hier tat sich die erste echte Chance seit Monaten auf, und sie würde den Typen nicht ziehen lassen, solange sie noch keinen Blick auf sein Gesicht geworfen hatte. Vielleicht hatte er etwas zu rauchen. Wenn nicht, würde sie echte Probleme bekommen, sich Nachschub zu organisieren: Bei Audley’s wurde strikt darauf geachtet, Zigaretten nicht an Minderjährige zu verkaufen, und sie hatte noch keinen Dummen gefunden, der ihr die Einkäufe regelmäßig abnahm. Die Leute hier
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