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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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wartet, Madam.“
    Sie kam vorsichtig näher, als fürchtete sie, aus dem Auto könnten sie Spinnen anspringen. Aber als sie sprach, lag völlig unerwartet Ehrfurcht in ihrem Tonfall.
    „Das ist ein XJ6“, sagte sie leise, mit belegter Stimme. „Welches Baujahr: ’74? ’75?“
    „Es ist ein 74er“, antwortete er verblüfft.
    „Er ist schön“, hauchte sie, völlig verzückt. Sie reichte ihm den Keksteller und ließ sich auf das weiche Leder des Beifahrersitzes sinken wie ein Engel, der in den Himmel glitt. Sie schloss die Augen und holte mit Kennermiene einmal tief Luft. „Er riecht sogar richtig.“
    Er bewegte sich nicht vom Fleck und starrte sie einfach an. Annelise hatte das Auto gehasst und immer darauf gedrängt, dass sie ihren Mercedes oder seinen ansehnlicheren Lincoln SUV nahmen. Wenn er je einen Vierradantrieb gebraucht hatte, dann hier in Vermont, aber er hatte sich in letzter Minute doch für den Jaguar entschieden. Der Lincoln Navigator war riesig und wirkte fast bedrohlich, den Jaguar würden die meisten Leute hingegen unterschätzen und ignorieren. Und er hatte sich auf die Gelegenheit gefreut, die Kiste auf den Highways einmal richtig auszufahren und herauszufinden, was – nach all der Arbeit, die er in sie investiert hatte – in ihr steckte.
    Mit einer weichen, geblümten Frau, die fast einen Orgasmus bekam, sobald sie sich in das Gefährt setzte, hatte er wirklich nicht gerechnet. Zumal er den Verdacht hegte, dass das der
erste
Orgasmus in Sophie Davis’ Leben gewesen wäre.
    Er wollte vorschlagen, dass sie lieber ihren Wagen nehmen sollten, besann sich dann aber anders. Das Auto gefiel ihr also, damit hatte sie bei ihm, bei aller Antipathie, wenigstens
einen
Stein im Brett. Er nahm einen der Ingwerkekse und warf ihn sich in den Mund.
Zwei
Steine, verbesserte er sich.
    Als er die Beifahrertür schloss und sich dabei wie ein verdammter Lakai vorkam, fielen ihm die langen Beine unter dem Blümchenrock auf. Sie hatte sich in den Sitz geschmiegt wie ein Kätzchen in eine Decke. Schnurrte sie vielleicht sogar?
    Er riss sich zusammen, ging um das Heck des Autos herum zur Fahrerseite und stieg ein.
    Ihre Augen waren noch immer geschlossen, und er fragte sich, ob sie eingeschlafen war. Das Leder mochte zwar weich sein, aber nicht
so
weich. Er sah sie so lange an, bis sie schließlich den Kopf drehte und die Augen aufschlug. Sie betrachtete ihn mit verklärtem Gesichtsausdruck – wie eine Frau, die es gerade mit ihm trieb, und er musste feststellen, dass ihr bloßer Anblick ihn erregte. Er hatte noch nie auf dem breiten Rücksitz der Limousine mit einer Frau geschlafen, aber Sophie wäre dieses Privilegs eindeutig würdig gewesen. Dabei hätte er sich natürlich alle erdenkliche Mühe gegeben, es für sie zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen.
    Er versuchte, den erotischen Zauberbann zu brechen. „Es ist nur ein Auto“, meinte er – ohne große Überzeugungskraft.
    „Sie wissen so gut wie ich, dass es doch weit mehr ist als nur ein Auto.“ Plötzlich legte sie die Stirn in Falten. „Haben Sie noch mehr Oldtimer? Ich vermute, Sie sammeln sie und lassen sie restaurieren …“
    „Niemand außer mir fasst dieses Auto an. Und es ist mein einziger Oldtimer. Für den täglichen Gebrauch habe ich noch einen neuen Wagen, aber dieser ist …“ Er wollte ihr die Wahrheit sagen. Dass der Jaguar sein Herz, seine Seele war, das Ding, das er auf Erden am innigsten liebte, mehr als jeden Menschen, der je seinen Weg gekreuzt hatte. „… mein Hobby“, beendete er den Satz jedoch: die Untertreibung des Jahrzehnts.
    Sie fuhr mit der Hand über den weichen Ledersitz, und unwillkürlich stellte er sich vor, wie es wäre, wenn sie stattdessen seine Haut streicheln würde. Nackt auf das goldene Leder des tiefen Rücksitzes hingegossen, würde sie sich ziemlich prächtig machen. Und wenn er diesen Gedanken jetzt nicht schnell Einhalt gebot, würde er sich den Keksteller auf den Schoß stellen müssen, um seine Erregung zu verbergen.
    „Er ist …“ Plötzlich schien ihr aufzugehen, was sie tat. Sie hörte auf, das Leder zu liebkosen, setzte sich aufrecht hin und blinzelte, um den erotischen Dunstschleier aus ihrem Blick zu vertreiben. „… gar nicht übel.“ Sie nahm ihm die Kekse ab.
    Er drehte den Schlüssel und lauschte erregt auf das kehlige Grollen des Motors. Er legte den Rückwärtsgang ein und setzte mit äußerster Umsicht auf der schmalen, mit Unkraut überwucherten Einfahrt zurück.

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