Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Autounfall ums Leben gekommen. Seine Schwester hat sich mit der Familie zerstritten und ist nach Australien ausgewandert. Ich habe seit fünfzehn Jahren nichts mehr von ihr gehört.« Er stellte zwei Kaffeebecher auf die Arbeitsplatte und fing dabei ihren Blick auf. »Ich weiß, ich weiß. Meine Familie ist nicht gerade mit Glück und Harmonie gesegnet. Wie man derzeit auch an mir sieht«, fügte er leise hinzu, beinahe wie an sich selbst gewandt. »Was ist mit Ihnen? Häusliche Idylle oder endloses Drama?«, fragte er dann. Leah lächelte.
»Eher häusliche Idylle, jedenfalls meistens. Wir sind ziem lich bieder. Schmuckes Dörfchen, aber nicht zu weit von London entfernt, Einfamilienhaus mit Golden Retriever und so weiter. Meine Mutter ist im örtlichen Frauenverein, Dad spielt Rasenbowling. Ganz klassisch, wie man sich das eben so vorstellt.«
»Klingt nett. Normal und friedlich. Sehen Sie Ihre Eltern häufig?«
»Ja, schon. Aber sie wollen nie nach London raufkommen – ist ihnen zu laut. Ich muss immer nach Hause fahren, wenn ich sie sehen will.«
»Warum sind Sie nach London gezogen?«
»Warum zieht man nach London? Arbeit, Freunde, Kultur. Sind Sie nicht auch deswegen dorthin gezogen?«, fragte sie unbedachterweise. Er erstarrte, seine Miene verdüsterte sich.
»Angeblich wissen Sie doch nicht, wer ich bin, oder sonst irgendetwas über mich?«, fuhr er auf.
Leah hob beschwichtigend die Hand. »Ich habe Sie heute Morgen gegoogelt. Tut mir leid. Sie haben sich bei unserer ersten Unterhaltung so geheimnisvoll gegeben …« Sie versuchte zu lächeln, doch Marks Gesicht war finster wie Gewitterwolken.
»Aus gutem Grund«, sagte er.
»Ich weiß. Ich meine … ich verstehe Sie. Ich werde Sie nicht weiter danach fragen«, entgegnete sie.
Missmutig senkte er den Kopf und starrte eine Weile in seinen Kaffeebecher. Seine hervorstehenden, gerunzelten Brauen verwehrten ihr dabei den Blick in seine Augen. »Danke.«
»Hier sind die Briefe. Lesen Sie sie«, sagte Leah und reichte sie ihm hastig.
Mark überflog die Seiten. »Tja«, sagte er und ließ die Briefe auf die Küchentheke fallen. »Ich kann gut nachvollziehen, warum Sie sich so dafür interessieren. Sie klingen sehr dramatisch, nicht? Irgendetwas hat sie anscheinend völlig fertiggemacht. Ich meine, sie schreibt ja, dass sie ›in ständiger Angst‹ lebte und alles so ›seltsam und düster‹ war …«
»Ich weiß. Aber das sagt Ihnen alles nichts, oder? Keine alten Familiengeschichten oder -geheimnisse oder sonst eine Ahnung, worauf sie sich beziehen könnte? Oder an wen sie diese Briefe geschrieben hat?«
»Also ehrlich, Leah – das war fast sechzig Jahre vor meiner Geburt! Ich habe die Frau nie kennengelernt. Der einzige Familienskandal, von dem ich weiß, ist diese Feengeschichte. Das war nicht mal ein großer Skandal – irgendein Kerl hat es geschafft, ein paar Leute davon zu überzeugen, dass es Feen wirklich gibt. Und die sind irgendwann auch zur Vernunft gekommen«, fasste er knapp zusammen.
»Wenn die Briefe doch nur datiert wären. Oder wir die Umschläge mit dem Poststempel drauf hätten. Wenn dieser Theosoph in dem Jahr oft im Pfarrhaus war, wäre es durchaus möglich, dass sie an ihn geschrieben hat. Er könnte unser toter Soldat sein – Robin Durrant. Ich muss mehr über ihn herausfinden. Zum Beispiel, was ein Theosoph überhaupt ist.«
»Ich habe das Wort auch noch nie gehört. Offenbar irgendeine seltsame religiöse oder spiritistische Strömung. Zu der Zeit haben eine Menge Leute an die seltsamsten Dinge geglaubt. An Gott zum Beispiel.« Er grinste.
»Darüber sollten Sie keine Witze machen. Sie wären erstaunt, wie empfindlich einige Menschen darauf reagieren können.«
»Ach, das weiß ich. Ganz schöne Doppelmoral, finde ich. Jeder kann vor meiner Haustür erscheinen und mir etwas über meine Fehler und Sünden erzählen, je nachdem, wie seine spezielle Gottheit die definiert. Aber wenn ich aufstehe und sage, dass es keinen Gott gibt, regen die Leute sich fürchterlich auf.«
»Sie sprechen wohl aus Erfahrung?«
»Meine Schwägerin. Nur eine der vielen Facetten dieser ganzen verflixten Geschichte.«
»Hatten Sie nicht gesagt, dass Sie nicht darüber reden wollen?«
»Will ich auch nicht«, erwiderte er mit einem kurzen, erregten Schulterzucken. Er wandte den Blick ab und schaute aus dem Küchenfenster, dabei studierte Leah gründlich sein Gesicht. Lange, gerade Nase, kräftiges Haar mit ein wenig Grau darin. Er wirkte
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