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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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hager, beinahe ein wenig ausgehungert. Sein leicht gekrümmter Rücken ließ ihn müde und erschöpft aussehen, und unter seinem verblassten Pulli zeichneten sich die kantigen Knochen ab. Sein Blick floh allzu leicht ins Leere, glitt an ihr vorbei ins Nichts, als jage er hilflos Gedanken nach, die sich immer wieder selbstständig machten. Plötzlich erkannte Leah, wie zerbrechlich er war – dass das Leben ihn viel zu straff und dünn gespannt hatte. Sie erkannte die Erschöpfung, die sich in jeder seiner Bewegungen ausdrückte – an die erinnerte sie sich nur zu gut aus den langen Tagen der Krise, nachdem sie Ryan verlassen hatte. Es lag ihr auf der Zunge zu sagen: Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Mark holte tief Luft und stieß sie mit einem scharfen Seufzen durch die Nase wieder aus. »Haben Sie Hunger? Möchten Sie mit mir zu Mittag essen?«
    »Ja, gern. Danke.«
    Mit Marks Erlaubnis ging Leah im Haus auf Erkun dungstour, während er Eier in einer Schüssel verquirlte und Pilze für ein Omelette schnippelte. In gespannter Vorfreude stieg sie die breite Treppe hinauf – eine kindische Aufregung, die sie dazu trieb, über sich selbst zu lachen, während sich ihr Atem beschleunigte. Ausgedorrte Dielenbretter quietschten unter ihren Füßen. So feucht, wie es im Erdgeschoss war, so trocken war die Luft hier oben, und ein drohendes Niesen kribbelte in ihrer Nase. Leah schaute in das größte Schlafzimmer, das noch bis vor Kurzem das Zimmer von Marks Vater gewesen war. Die riesigen, einst roten Rosen auf den Vorhängen hatten eine rostrote Farbe angenommen wie getrocknetes Blut. Kleiderschrank, Frisiertisch und Kommode waren sämtlich zu klein für den großen Raum. Auf dem Bett mit dem wuchtigen Mahagoni-Kopfteil häuften sich staubige Daunendecken und Kopfkissen, die vom Schweiß zu vieler schlafender Köpfe orangegelb verfärbt waren. Der Geruch in diesem Raum war zugleich vertraut und abstoßend, irgendwie tröstlich, wie ein ungewaschener Lieblingspulli, den man so lange getragen hat, dass er Form und Geruch des Körpers genau wiedergibt. Ein Radiowecker ließ »00:00« in roten LED -Ziffern aufblinken und gab jedes Mal, wenn die Anzeige aufleuchtete, ein leises elektrisches Summen von sich. Leah sah einen altmodischen automatischen Teekocher, mindestens dreißig Jahre alt, einen verstaubten Hosenbügler und eine Ansammlung von Drahtkleiderbügeln an einem Haken hinter der Tür. Sie starrte in jede Ecke dieses traurigen, vernachlässigten Zimmers und fand es deprimierend und aufregend zugleich. Ja, sie schnüffelte herum, aber sie spionierte eine Welt aus, die so still und so veraltet war, dass sie keinen Bezug zu dem ihr vertrauten Leben hatte.
    Eine Tür führte ins angrenzende Bad. In der Wanne leitete eine bläulich graue Kalkspur immer neue Tropfen vom Wasserhahn zum Abfluss. Eine zerzauste Zahnbürste stand in einem angeschlagenen gelben Becher, dessen verblasster Aufdruck nicht mehr richtig zu erkennen war, daneben ein Rasierer mit einem Pelzbesatz aus getrockneten Schaumresten und ein paar Stoppeln. Um den Fuß von Waschbecken und Toilette war der Teppich dunkel vermodert, und am unteren Rand des Spitzenvorhangs wuchs ein wenig Moos, wo das Fenster nicht richtig schloss und sich auf dem Fensterbrett eine kleine Regenpfütze gebildet hatte. Leah schob das Fenster einen Spalt auf und spähte hinaus auf den Garten hinterm Haus, in dem der Winter das kniehohe Gras geknickt und hellbraun gefärbt hatte. Ganz links konnte sie gerade noch die hohe Mauer eines Hofs erkennen und eine scheinbar planlose Ansammlung von Nebengebäuden. Eines davon hatte ein großes Loch im Dach. Auf den Firstziegeln eines anderen kauerten zwei fette Tauben dicht zusammengedrängt, das Gefieder gegen den Regen gesträubt.
    Leah setzte ihre Besichtigung fort. Auf leisen Sohlen, als könnte sie jemanden stören, wanderte sie von Raum zu Raum, doch in den anderen Zimmern schien seit Jahren niemand mehr gewohnt zu haben. Sie waren wahllos mit Möbeln und Gerümpel vollgestellt – in einem Schlafzimmer standen drei altmodische Toilettenstühle und eine Schau fensterpuppe, in anderen wellige Kartons voller Bücher und Zeitschriften, Decken und Spielzeug oder Küchengeräten. Die Zimmer unter dem Dach dienten offenbar schon seit Jahrzehnten nur noch als Lagerräume. In allen dreien fand sie schiefe Stapel von Kisten und Truhen. Leah wand sich zwischen ihnen zu einem der Dachfenster hindurch und schaute hinaus. Auf dem Fensterbrett stand

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