Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
eine verstaubte Obstkiste voller Bilder in Rahmen, die zum Großteil ihr Glas verloren hatten. Sie fegte ein paar mumifizierte Fliegen beiseite und sah die Bilder durch: verblasste Aquarelle, ein kleiner Druck von Charles I., ein weiterer von Kätzchen, die mit einem Wollknäuel spielten. Der Sinnspruch einer Stickerei war so verblasst, dass sie ihn kaum mehr lesen konnte. Zwischen den Blumen in der Ecke darunter machte eine kleine Tigerkatze einen Buckel. Unter einer vergilbten Fotografie des Hauses war säuberlich aufgedruckt: Cold Ash Holt, Pfarrhaus, 1928 . Dieses Foto zog Leah aus dem Stapel und nahm es mit hinunter, um es Mark zu zeigen.
Die Räume im Erdgeschoss waren besser möbliert und ausgestattet, aber alles strahlte eine Atmosphäre jahrelanger Vernachlässigung aus, die Leah ein wenig traurig machte. Sie ließ ein nostalgisches Gefühl in ihr entstehen, als vermisste sie die unbekannten Menschen, die hier einmal gelebt hatten, ebenso sehr wie das Haus selbst sie zu vermissen schien. Eine Tür, die offenbar in einen Keller führte, war abgeschlossen, und nachdem Leah probeweise am Knauf gerüttelt hatte, gab sie enttäuscht auf. Sie kehrte in die Küche zurück, wo Mark inzwischen ein Radio eingeschaltet hatte, aus dem die blecherne Stimme eines Nachrichtensprechers drang. Er stand mit dem Rücken zu ihr am Ofen und beschäftigte sich sanft, beinahe meditativ, mit der Zubereitung des Omelettes. Leah setzte sich wieder auf ihren Küchenstuhl, und er wandte den Kopf, als sie mit dem Knie leicht an den Tisch stieß.
»Sie kennen nicht zufällig jemanden aus der Immobilienredaktion? Ich sollte das Haus wohl verkaufen. Eine Zeit lang habe ich gehofft, Dad könnte wieder nach Hause kommen, aber das wird er nicht. Je eher wir uns damit abfinden, desto besser«, sagte er gedankenverloren, als hätte sie die ganze Zeit über hinter ihm gesessen.
»Die Immobilienredaktion? Wie gesagt, ich arbeite nicht für eine Zeitung. Ich bin freie Journalistin«, erinnerte Leah ihn vorsichtig. Seine rasch wechselnden Stimmungen schienen über ihn hinwegzuhuschen wie Wolken an einem windigen Tag, und er war ihnen ausgeliefert. Selbst jetzt, da er ihr den Rücken zuwandte, war ihm die Anspannung anzusehen. Leah, um Worte verlegen, ordnete Hester Cannings Briefe und legte das alte Foto des Hauses daneben.
»Was fehlt Ihrem Vater denn? Ist er krank?«, fragte sie, ehe sie sich besinnen konnte. Mark warf ihr wieder so einen Blick zu, als versuchte er, in ihrem Gesicht zu lesen, sie genau einzuschätzen. Nur einen Herzschlag später wurde sein Blick weicher, und sein Gesicht sank wieder in die müden Falten, die ihr allmählich vertraut wurden.
»Er ist in einem Pflegeheim. Für Senioren.« Leah musterte ihn, versuchte sein Alter abzuschätzen und daraus zu schließen, wie alt sein Vater sein mochte. Mark fing ihren forschenden Blick auf. »Er ist siebzig, falls Sie sich das gerade fragen. Aber er leidet an präseniler Demenz.«
»Oh. Das tut mir sehr leid.«
»Es ist erbärmlich. Erbärmlich und grässlich, dass das einem so guten, freundlichen Mann passiert. Es ist absolut unfair. Aber so ist das Leben wohl. Als ich ihn zuletzt be sucht habe, hat er mich nicht einmal erkannt«, erzählte Mark mit monotoner Stimme, während er die Bratpfanne zum Frühstückstresen trug und das Omelette auf zwei Teller verteilte.
»Danke«, murmelte Leah.
»Keine Ursache.« Er setzte sich ihr gegenüber und schaufelte sich das Omelette in den Mund, als sei sie gar nicht anwesend. Mit leer in die Ferne gerichtetem Blick kaute er mechanisch vor sich hin. Leah griff zur Gabel und begann, langsam zu essen. Er hatte das Omelette auf einer Seite anbrennen lassen, und die Pilze waren nicht durchgebraten. Hart und klumpig steckten sie in den gestockten Eiern. Höf lich stocherte sie darin herum und unterdrückte ein Lächeln, während sie zusah, wie Mark unablässig auf seinen rohen Pilzen herumkaute. Schließlich kehrte seine Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zurück, und zu ihr. »Das schmeckt scheußlich«, sagte er, und Leah grinste schief und nickte. »Kommen Sie, gehen wir in den Pub.«
Nach einer etwas besseren Mahlzeit mit Sandwiches und Bier unternahmen sie einen Spaziergang durch die Flussauen. Der Himmel war aufgeklart und zartblau, dicke weiße Wolken rollten über ihren Köpfen dahin. Sie nahmen einen Pfad, der an einem Seeufer entlang vom Kanal wegführte. Der Boden schmatzte feucht unter ihren Stiefeln und federte, als schwimme er
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