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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Ryan.
    »Ist es«, stimmte sie zu. »Wie hatte er die Schachtel versiegelt?«
    »Mit Kerzenwachs, wie’s aussieht. Geschmolzen und um den ganzen Rand herum glatt gestrichen.«
    »Wäre das denn leicht zu machen gewesen? Etwas, das er praktisch jeden Tag getan hätte, oder hat er den Brief nur ab und zu herausgeholt, um ihn zu lesen?«
    »Wer weiß? Ich meine, er hat sehr gründlich gearbeitet, das hat wahrscheinlich seine Zeit gedauert. Ich glaube nicht, dass er die Schachtel jeden Tag geöffnet und wieder versiegelt hat.« Ryan zuckte mit den Schultern.
    »Dann war dieser Brief also etwas Besonderes für ihn?«
    »Das würde ich meinen, ja. Lies ihn laut, damit ich ihn auch noch einmal höre«, schlug er vor.
    Pfarrhaus
    Cold Ash Holt
    Sehr geehrter Herr,
    ich weiß kaum, wie ich diesen Brief beginnen soll, da ich bereits so viele geschickt und bisher kaum Antwort erhalten habe. Kaum, schreibe ich – dabei müsste es heißen, gar keine. Ich vermag mir die Situation, in der Sie sich jetzt befinden, nicht vorzustellen, und kann nur annehmen, so unmöglich mir das auch erscheint, dass sie noch schlimmer sein muss als die Umstände, die Sie hinter sich ließen. Der Gedanke daran, dass Sie unablässig in Gefahr schweben, ist grauenvoll – Sie und Ihre Kameraden. Bitte geben Sie auf sich Acht und seien Sie vorsichtig, sofern man auf einem Schlachtfeld von Vorsicht sprechen kann. Ich erfuhr erst kürzlich von Ihrer Abreise an die Front, und das auch nur durch einen Zufall – eine Bekannte erwähnte die Entsendung von Männern wie Ihnen. Mir ist bewusst, dass Sie und ich uns unter sonderbaren Umständen trennten und unsere gemeinsame Zeit nicht einfach war. Doch obwohl Sie keinen meiner Briefe beantwortet haben, als Sie noch in meiner Nähe waren, fühlt es sich noch schlimmer an, zu wissen, dass Sie nicht mehr auf englischem Boden weilen.
    Was also kann ich schreiben? Was könnte ich schreiben, das ich nicht bereits geschrieben habe? Ich begreife es nicht. Ich lebe in ständiger Angst, in Elend und Unwissenheit, und Sie sind meine einzige Hoffnung, je aus diesem Nebel herauszufinden. Doch Sie können oder wollen mir nicht helfen und auch Ihr Schweigen nicht brechen. Was kann ich schon tun? Ich bin nur eine Frau. Ein Eingeständnis der Schwäche, aber allein besitze ich weder die Kraft noch den Mut, irgendeine Veränderung herbeizuführen. Ich sitze in der Falle. Gewiss klingt das in Ihren Ohren jämmerlich, da Sie so viel durchmachen mussten, seit wir uns zuletzt sahen, und nun Dinge ertragen müssen, die ich mir nicht einmal vorstellen kann.
    Mein Sohn entwickelt sich prächtig. Zumindest in dieser Hinsicht habe ich also gute Neuigkeiten. Bald wird er drei Jahre alt sein – wo ist nur die Zeit geblieben? Beinahe vier dunkle Jahre sind verstrichen, in denen Thomas mein einziger Lichtblick war. Er flitzt wie ein kleiner Derwisch in Haus und Garten herum. Er ist nicht groß für sein Alter, sagte man mir, aber seine Beine und sein Körper sind robust, und er ist in bester Verfassung. Bisher hat er noch nicht ernsthaft unter irgendeiner Infektion oder Kinderkrankheit gelitten. Er hat braunes Haar, leicht gelockt, und braune Augen. Hellbraune Augen. Ich lasse sein Haar zu lang wachsen, weil ich es so gern bürste! Meine Schwester sagt, er sei zu alt für diese Frisur, und die Leute würden ihn für ein kleines Mädchen halten, aber ich möchte sie noch eine Weile so lassen. Er lernt die ersten Zahlen und kann sich Lieder und Verse binnen Minuten einprägen. Er besitzt eine rasche Auffassungsgabe, überhaupt ist sein Verstand schneller als meiner, möchte ich behaupten. Ich hoffe, es macht Sie froh, von Thomas zu hören.
    Ich wüsste nicht, was ich sonst noch schreiben sollte. Seit jenem Sommer war alles so seltsam und düster. Ich wünschte, ich könnte die Ereignisse besser verstehen, und zugleich fürchte ich, dass ich nicht den Mut besäße, entsprechend zu handeln, falls sich meine Vermutungen bestätigen sollten. Ich würde mich kaum trauen, eine Sekunde länger in meinem eigenen Haus zu bleiben, und was dann? Meine Schwester würde mich wohl vorübergehend bei sich aufnehmen. Aber nicht für immer – sie und ihr Mann haben jetzt vier Kinder, da ist schlicht nicht genug Platz für Thomas und mich. Würden Sie mir bitte schreiben? Bitte teilen Sie mir über die Ereignisse jenes Sommers alles mit, was Sie wissen – ich flehe Sie an! Selbst wenn Sie glauben, Ihre Antworten würden mich nicht beruhigen, ich muss es

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