Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
Vom Netzwerk:
unter Druck schmelzen, in ihren Blutkreislauf strömen und sich darin verlieren könnte. Dabei war Ryan ihr gar nicht einmal nahe. Er saß halb auf dem Fensterbrett gegenüber, und sie saß auf der Bettkante und hielt sich beim Lesen mit einer Hand das Haar aus dem Gesicht. Doch dann stand er so plötzlich auf, dass Leah zusammenfuhr.
    »Auch noch einen Kaffee?«, bot er in so beiläufigem Tonfall an, dass Leah an sich zweifelte. Oder daran, dass er auch nur annähernd ähnlich empfand wie sie.
    »Nein, danke.« Sie blickte nicht auf.
    »Klingt, als hätte sie ganz schön in der Klemme gesteckt, nicht?«, bemerkte er und goss heißes Wasser auf eine weitere Portion Instant-Kaffeepulver. »Was machst du dir für einen Reim darauf?«
    »Das kann ich wirklich nicht sagen. Etwas Schlimmes ist passiert. Sie wurde verlassen und musste allein mit den Folgen klarkommen, unser Toter hat sich irgendwohin verkrümelt und ist dann in den Krieg gezogen. Sie glaubt, er wüsste etwas darüber, was da passiert ist«, fasste Leah zusammen. Jetzt blickte sie zu ihm auf. Da er ihr den Rücken zugewandt hatte, war es sicherer. Die lange, geschmeidige Form seiner Wirbelsäule, die breiten Schultern unter dem Hemd. Eigentlich nur Haut und Muskeln und Knochen, nicht anders als sie selbst – aber dennoch irgendwie magisch.
    »Aber sie waren kein Liebespaar?«, fragte er.
    »Das glaube ich nicht, nein. Sonst würde sie ihn wohl kaum mit ›Sehr geehrter Herr‹ anschreiben. Das hätte auch vor hundert Jahren niemand getan. Es klingt so kalt und förmlich.«
    »Der Inhalt des Briefes aber nicht, oder? Ich meine, der ist nicht kalt und förmlich«, entgegnete Ryan. Er setzte sich neben sie, zu nah, sodass sie sich an Oberschenkel, Hüfte, Ellbogen berührten. Leah spürte, wie etwas in ihr nachgab und ein bekannter Schmerz sich ausbreitete. Das war ein merkwürdiger Schmerz, beinahe befriedigend, wie an einem losen Zahn zu wackeln oder an einer Wunde herumzudrücken. Einer Wunde, die sehr tief ging. Sie rief sich in Erinnerung, wie er sie betrogen und damit alles zerstört hatte, was ihr vertraut und sicher erschienen war.
    »Ja und nein. Sehr seltsam. Es ist, als versuche sie, anständig und schicklich mit alldem umzugehen, aber das lässt sich nicht mit dem vereinbaren, was sie ihm sagen muss. Und dass sie sich so vage ausdrückt – beinahe, als müsste sie damit rechnen, dass jemand anders ihre Briefe in die Finger bekommt und liest, und für diesen Fall wollte sie nicht zu viel verraten …« Leah verstummte. Ryan hatte ihr das Haar hinters Ohr gestrichen und dabei ganz zart mit den Fingern ihre Wange gestreift. Stumm sah sie ihm in die Augen.
    »Du wirst der Sache also nachgehen und versuchen, ihn zu identifizieren?«, fragte Ryan. Leah nickte. »Es ist genau wie früher, dir so dabei zuzuschauen, wie du dich auf ein Geheimnis stürzt. Ein … unerwarteter Bonus.«
    »Wie meinst du das? Hast du denn nicht damit gerechnet, dass ich es mache?«
    »Nein, ich habe damit gerechnet, dass du es absichtlich nicht machen würdest, nur, weil ich dich darum gebeten habe.«
    »Ich habe tatsächlich daran gedacht«, gestand sie. »Ich … zum Teil bin ich deshalb hergekommen, um Nein sagen zu können. Dir etwas zu verweigern.« Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wischte sie zornig weg.
    »Du hast gleich die erste Hürde gerissen«, sagte er leise. »Du bist hierhergekommen. Als ich dich darum gebeten habe.«
    »Ich weiß. Ich kann das nicht besonders gut, was?«
    »Ich weiß nicht. Du hast mich monatelang warten lassen, bis ich dich wiedersehen durfte. Du hast mich dazu getrieben, nach Belgien zu gehen, um dich zu vergessen.«
    »Das ist gelogen. Du wolltest schon immer hierher und für die Kriegsgräberfürsorge arbeiten«, erwiderte sie und rang darum, Halt zu finden, sich an irgendetwas festzuklammern, während sie immer weiter vom Rand der Klippe abrutschte.
    »Leah, du hast mir so gefehlt«, flüsterte Ryan, die Lippen in ihrem Haar, sodass seine Worte ihre Haut berührten wie Schmetterlingsflügel. Schweigend gab Leah nach.
    Als sie aufwachte, trommelte Regen mit ein paar Körnchen Hagel ans Fenster. Das kleine Zimmer war dunkel und trübselig, das Bett zu schmal. Ryan lag mit dem Gesicht zur Wand und dem Rücken zu ihr und schlief tief und fest. Ohne sich zu rühren, ließ Leah den Blick durch den Raum gleiten und erfasste jedes ihrer Kleidungsstücke, die sie am Abend zuvor einfach irgendwo hatte fallen lassen. Eine Sekunde lang

Weitere Kostenlose Bücher