Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
kostbare Gesellschaft Sie noch immer willkommen heißen, wenn Sie erst ein verurteilter Mörder sind? Das glaube ich kaum. Weshalb also dieses fortgesetzte Schweigen? Was nützt es Ihnen? Der Tag Ihrer Verhandlung rückt näher. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Wenn Sie zum Tod durch den Strang verurteilt werden, was dann? Ist es das, was Sie wollen – glauben Sie, dass Ihr Name ewig weiterleben wird, selbst wenn Ihr Leben jetzt endet? Dass Sie für immer der Theosoph sein werden, der den Beweis für die Existenz von Elementarwesen erbracht hat? Ich sage Ihnen, das ist es nicht wert. Einige erkennen schon jetzt Ihre Werke nicht an, und ihre Zahl wird wachsen. Sie werden ebenso bald in Vergessenheit geraten wie Ihre Werke. Erklären Sie sich, und Ihnen bleibt genug Zeit, von vorn anzufangen! Ihr Vater hätte gewiss lieber einen gescheiterten Theosophen, ja sogar einen Betrüger zum Sohn als einen Mörder, dessen bin ich mir absolut sicher.
Eine Zeit lang hielt ich Sie für edelmütig und dachte, Sie opferten sich für Albert. Aber das war dumm von mir. Weshalb sollten Sie das tun? Alles, was Sie je getan haben, diente nur Ihnen selbst, von dem Augenblick an, da Sie mein Haus betraten und es auf den Kopf stellten. Ach, wären Sie doch nie gekommen! Wie sehr ich mir das wünsche, und dass Cat noch lebte, selbst wenn sie mit ihrem George davongelaufen wäre. Sie war meine Cousine, wussten Sie das? Sie hat es mir in einem Brief geschrieben, den ich finden sollte, wenn ihre Flucht geglückt war. Vielleicht hätte ich noch vor einer Weile nicht geglaubt, dass mein Onkel ein Kind mit einer seiner Bediensteten zeugen und dieses Kind dann mir ins Haus schicken würde, ohne mir ein Wort zu sagen. Jetzt glaube ich, dass es nichts gibt, was Männer nicht tun würden, wenn es ihnen passt, gar nichts.
Ich glaube, ich erwarte ein Kind. Die Symptome lassen sich immer schwerer verleugnen. Ich fand, dass ich Sie darüber informieren sollte, obgleich ich keine Ahnung habe, wie Sie diese Neuigkeit aufnehmen werden. Sofern sie Sie überhaupt in irgendeiner Weise berührt. Ich selbst bin bald zugrunde gerichtet von Verwirrung, Freude und Zweifel. Freude – wie kann es in diesem Haus noch Freude geben? Jemals wieder? Freude oder Lachen oder Heiterkeit. Alles, was ich wollte, war ein Kind, und nun bewahrheitet sich für mich das Sprichwort, dass man vorsichtig sein sollte mit seinen Wünschen. Albert ist wie ein Gespenst. Er erfüllt jeden Raum mit Kälte. Er macht mich schaudern. Mein eigener Mann. Ich habe ihm nichts von dem Baby gesagt. Wie könnte ich das? Aber er wird es schon bald sehen. Was dann? Wird er auch mich erschlagen? Wird das mein Ende sein? So kann es nicht weitergehen – wir können so nicht weiterleben. Es muss sich etwas ändern. Die Wahrheit muss ans Licht kommen. Ich kann diese Last nicht allein tragen, sie ist zu schwer für mich. Ich fühle, wie ich unter ihr zusammensinke, jeden Tag ein wenig mehr. Ich habe alles versteckt, was ich an jenem schrecklichen Morgen gefunden habe. Diese Dinge sind geblieben, und sie erzählen ihre eigene Geschichte. Die Wahrheit wartet nur darauf, dass Sie sich erklären, Mr. Durrant. Wenn Sie das tun, werde ich Ihnen helfen. Das schwöre ich. Ich werde ihnen meinen Anteil an dieser Geschichte offenlegen, und Alberts, und ich werde meine Strafe auf mich nehmen. Vielleicht würden sie bei Gericht Gnade walten lassen, weil sie erkennen müssten, dass ich aus Angst so gehandelt habe, und aus Liebe zu meinem Mann. Vielleicht auch nicht. Ach, aber was sollte dann aus unserem Kind werden? Und aus ihm? Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Helfen Sie mir.
Hester Canning
14
2011
Leah brachte eine Woche damit zu, die Polizeiakten im Mordfall Cat Morley zu studieren und in den Archiven nach Zeitungsartikeln aus dem Spätherbst 1911 zu suchen, um Einzelheiten über den Prozess gegen Robin Durrant zu erfahren. Sie starrte auf das Foto von ihm, das zu jedem Bericht über den Fall abgedruckt wurde – auf die elegant geschwungene Oberlippe, die sie bei dem toten Soldaten gesehen hatte, so weit fort in Belgien. Es war verstörend, diese beiden Gesichter, das lebendige und das tote, als ein und dasselbe Gesicht zu begreifen. Er war des Mordes für schuldig befunden worden, und das Gericht war zu dem Schluss gekommen, dass es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft gehandelt habe, denn die Tote sei keineswegs unbescholten und dazu nur mit ihrer Unterhose bekleidet gewesen. Deshalb empfahlen die
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