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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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aus. Auf einmal wünscht sie, die beiden hätten sie eingeladen, sie zu begleiten. Albert schaut am Gartentor nicht zu ihr zurück oder winkt noch einmal, wie er es sonst stets tut.
    Vom Fenster im Musikzimmer aus sieht Cat die Männer fortgehen und wendet einen Moment lang das Gesicht der Sonne zu. Sie sehnt sich danach, den grauen Teint zu vertreiben, jede Spur davon durch die gleißende Sonne wegzubrennen. Sie sieht die Gesichter der Bauersfrauen und ihrer Kinder vor sich: ganz Bronze und Gold, mit Sommersprossen, die wie braune Zuckerkrümel über den Nasen verstreut sind. Genau das will sie auch. Wenn sie bei George ist, spürt sie, wie alles aus ihr herausrinnt, die klamme Kälte, die tödliche, verborgene Krankheit, die sich an ihr festklammert. Die Erinnerungen an Angst und Schmerz. George und die Sonne spenden Leben und geben ihr die Kraft, weiterzumachen, Tag und Nacht. Sie wendet sich vom Fenster ab und wieder dem Staubwischen zu. Mit dem weichen Tuch streicht sie langsam über die Konturen eines geschnitzten Stuhls. Ihr gefällt das seidige Gefühl des Holzes unter ihrer Hand. Auf dem Tisch liegt der Brief, den Hester gerade geschrieben hat, als Robin Durrant kam – der Brief, der sie über ihrem Stift erröten ließ. Cat schlendert hinüber, bleibt vor dem Tisch stehen und beginnt zu lesen.
    Sie liest, dass jemand in ihr Zimmer kommen könnte, um zu prüfen, ob sie schläft. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals, als wollte es sie ersticken. Dann pocht es vor rasender Wut darüber, überprüft, überwacht, gefangen gehalten zu werden. Sie ist zu zornig, um sich über Hesters Sorge um ihre Gesundheit zu freuen oder sich über deren Befürchtungen hinsichtlich möglicher seelischer Abgründe zu amüsieren. Als sie den letzten Absatz liest, breitet sich ein ungläubiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Beinahe lacht sie laut auf – nicht vor Boshaftigkeit, aber von dem Pfarrer und einem brünstigen Hengst in einem Satz zu lesen … Dann hört sie ein Geräusch vor der Tür und tritt hastig vom Schreibtisch zurück. Sie hat sich den Staublappen unter den Arm geklemmt und bekommt ihn nicht schnell genug wieder zu fassen, um den Eindruck zu erwecken, sie hätte ganz unschuldig Staub gewischt, als Hester den Raum betritt. Die Pfarrersfrau scheint in sorgenvolle Gedanken versunken, doch als sie Cat erblickt, lächelt sie zögerlich. Cat erwidert das Lächeln knapp und eilt hinaus.
    Natürlich wurden Tess und sie entdeckt. Einer der Diener sah sie eines Sonntagnachmittags, als sie vor dem Gebäude der Liberal Party Flugblätter verteilten. Oder es vielmehr versuchten. Männer eilten an ihnen vorbei, stießen grob ihre Hände beiseite oder rempelten sie an, als wären sie unsichtbar. Ein paar Herren warfen den beiden finstere Blicke zu und brummten »eine Schande«. Die Mädchen hatten sich so ausstaffiert, dass ihre Kleidung der WSPU -Uniform möglichst nahekam – Schärpen in Grün, Weiß und Purpur hingen von der rechten Schulter und führten unter dem linken Arm hindurch. Sie hatten Bänder in denselben Farben um ihre Hauben gebunden. Sie konnten sich die eleganten, taillierten weißen Jacken für sieben Shilling und Sixpence nicht leisten, die sie hätten tragen sollen, und auch nicht die feschen, gewagten Röcke in Grün oder Purpur, die gerade einmal bis zum Rand des Knöchels reichten. Sie gehörten zur Arbeiterklasse, wie jeder sehen konnte, und doch waren sie als Suffragetten zu erkennen.
    Sie hielten zusammen, arbeiteten Seite an Seite, lachten über die Grobheiten der Männer und warfen einander Bemerkungen über deren Figur, Kleidung und Gehabe zu. Natürlich nahm keiner von denen ein Flugblatt, aber die Mädchen riefen trotzdem ihre Parolen und schafften es, einigen weiblichen Passanten ihre Schriften in die Hand zu drücken. Dann entdeckte Cat Barnie, der sich gerade eine neue Schachtel Zigaretten in die Tasche steckte, die Straße entlang auf sie zukommen. Sie erstarrte, sah, wie er sie erkannte und seine Miene sich veränderte. Er blieb natürlich nicht stehen, um mit ihnen zu sprechen, denn dabei wollte er in der Öffentlichkeit gewiss nicht gesehen werden. Doch als er an ihnen vorüberging, konnte er ein schadenfrohes Grinsen ob seiner Entdeckung kaum unterdrücken. Barnie war ziemlich reizbar und machte gern Ärger, den er selbst allerdings als »Spaß« bezeichnete. Seit er in die Broughton Street gekommen war, hatten sowohl Tess als auch Cat seine Avancen bereits zurückgewiesen. Deshalb

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