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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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geht.«
    »Sicher«, seufzt Cat gleichgültig.
    »Du solltest sie ›die Herrin‹ oder wenigstens ›Mrs. Canning‹ nennen, nicht ›die Pfarrersfrau‹, das gehört sich nicht. Alles, was aus deinem Mund kommt, klingt irgendwie respektlos, und es steht dir nicht zu, so zu reden«, sagt Mrs. Bell.
    »Und weshalb sollte ich Leuten Respekt zollen, die sich meinen Respekt nicht verdient haben?«
    »Weil die meisten Leute – jedenfalls in deinem Leben, möchte ich behaupten – ihn sehr wohl verdienen, ob du dieser Meinung bist oder nicht. Die Herrin gibt dir ein Dach über dem Kopf und anständige Arbeit, obwohl dich sonst niemand anstellen würde, nicht mit deiner Vergangenheit.«
    »Ich verschaffe mir selbst ein Dach über dem Kopf, indem ich in jeder wachen Minute in diesem Haus arbeite! Und was meine Vergangenheit angeht … Die herrschenden Klassen stellen Regeln auf, nach denen sie die anderen bestrafen, nur damit sie einen Grund haben, zu strafen und uns kleinzuhalten, das ist meine Meinung. Wie könnte ich sie respektieren, wenn der Zufall meiner Geburt und die Regeln, die sie geschrieben haben, mich dazu zwingen, jeder ihrer Launen zu gehorchen, während sie den ganzen Tag lang herumsitzen können, unfähig, selbst die einfachsten Dinge ohne fremde Hilfe zu erledigen? Und dafür soll ich ihnen noch dankbar sein, obwohl sie in Wahrheit mir dankbar sein sollten! Wo wäre sie denn ohne mich? Ohne mich, die sie anzieht, ihre Kleider wäscht, ihr das Essen vorsetzt und ihr Bett macht? Und ohne Sie, die ihr das Essen kochen? Sie brauchen uns viel mehr, als wir sie bräuchten. Wenn ihre Regeln nicht in allen Dienstboten so tief verwurzelt wären wie bei Ihnen, Sophie Bell, dann könnten wir in diesem Land viel erreichen.« Cat beendet ihre Tirade, hält sich mit einer Hand den dröhnenden Kopf, gießt sich noch ein Glas Wasser ein und stürzt es ebenso gierig hinunter. Sophie Bell blinzelt wie ein erschrockenes Kaninchen, und ihr herabfallender Unterkiefer wippt auf ihrem Doppelkinn.
    »Was um alles in der Welt haben sie dir da oben in London nur beigebracht?«, fragt sie schließlich fassungslos.
    »Was sie mir beigebracht haben?«, echot Cat. Sie denkt kurz darüber nach. »Sie haben mir beigebracht, dass sie einen mit allen Mitteln niederzwingen werden, falls man sich von ihren Regeln nicht kleinhalten lässt«, antwortet sie leiser.
    Sophie Bell scheint zu warten, beinahe so, als wollte sie noch mehr hören. Doch als Cat nichts weiter sagt, wendet sie sich wieder der Lammschulter zu, runzelt besorgt die Stirn und verscheucht die Fliegen mit ihrem Küchentuch.
    »Geh schnell hinaus und hol etwas Rosmarin für das Lamm, Cat, sei so gut«, sagt sie geistesabwesend.
    Hester legt hastig den Brief an Amelia beiseite, den sie eben unterschrieben hat, aber noch nicht in einen Umschlag stecken konnte. Sie streicht ihr Kleid glatt, das vorn ein wenig zerknittert ist, und prüft, ob ihre Frisur sitzt. Ohne Alberts Vorbild als Hinweis darauf, wie sie diesem jungen Mann begegnen und wie respektvoll sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, fühlt sie sich recht verloren und beinahe verschüchtert. Sie hört den Gast näher kommen und faltet sittsam die Hände vor ihrem Rock.
    »Mr. Durrant, bitte kommen Sie doch herein«, sagt sie auf sein höfliches Klopfen hin. »Ich muss mich für die kurze Verwirrung entschuldigen. Selbstverständlich haben wir Sie erwartet, und Sie sind uns höchst willkommen.« Hester lächelt, als ihr Gast den Raum betritt.
    »Bitte, Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. Meine Mutter würde mich tadeln, weil ich früher angekommen bin als geplant und Sie dadurch gestört habe. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Mrs. Canning.« Er schüt telt ihr herzlich die Hand und drückt den Daumen einen Moment lang gegen ihren Handrücken. Vor dem Fenster trimmt Blighe, der Gärtner, die Ligusterhecke mit einer Schere, die knirscht, wenn er sie öffnet, und quietscht, wenn er sie zuschnappen lässt. Diese gequälten Geräusche untermalen die Unterhaltung.
    »Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Durrant. Albert hat Ihren Vortrag über Theosophie in den höchsten Tönen gelobt«, fügt Hester hinzu und hofft, dass sie das Wort richtig ausgesprochen hat. Robin Durrants knappes Nicken lässt das Gegenteil befürchten. Sie mustert ihn gründlicher. Er ist mittelgroß und von durchschnittlicher Statur, schlank, aber mit recht breiten Schultern. Seine Hand hat sich bei der Begrüßung genauso weich und warm

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