Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
ausgegangen, dass die meisten Männer eine Geliebte hatten?
»Dies ist Eure Werkstatt, meine Königin«, sagte Thot. »Dies sind Eure Öle und Kräuter, Eure Blumen, Euer Weihrauch, Eure Salben. Ich spreche mit keinem der anderen Priester über das, was ich für Euch tue. Eure Rezepturen stehen auf Papyri, die niemand zu sehen bekommt.«
»Schwöre mir, dass du nicht aufgeben wirst, ehe du die Rezeptur gefunden hast«, sagte Kleopatra.
Thot murmelte eine Antwort.
Iset hatte sich bis zur Tür vorgewagt und lugte durch einen Spalt.
Thot kniete vor der Königin, den Kopf tief gebeugt. Kleopatra fuhr ihm durchs Haar, blickte ihn jedoch nicht an. Sie starrte geradeaus, als suchte sie nach etwas, das in weiter Ferne lag. Dann richtete die Königin sich auf und sprach wieder in ihrem herrschaftlichen, unpersönlichen Ton. »Lass mich beizeiten wissen, wie es vorangeht.«
Iset stand im Dunkeln und lauschte auf die sich entfernenden Schritte der Königin. Thot würde sie holen, wenn die Luft rein war. Bis dahin dachte sie über das nach, was sie gerade gehört hatte. Warum hatte Thot ihr nicht erzählt, woran er arbeitete? Wenn es wirklich ein Parfüm gab, das es einem erlaubte, in frühere Existenzen zurückzufinden, wollte sie es riechen. Was, wenn sie schon einmal mit Thot zusammen gewesen war? Und was war dann geschehen? Hatte sie etwas Schlimmes getan? Das könnte erklären, warum sich so oft Trauer in ihre Leidenschaft mischte, wenn sie bei ihm war.
»Du kannst rauskommen.« Ihr Geliebter erschien auf der Schwelle des kühlen Lagerraums und streckte die Arme nach ihr aus, in die sich Iset sogleich fallen ließ. Er zog sie an sich und streichelte sie. »Wo waren wir gleich stehengeblieben?«
»Kann es das wirklich geben?«
»Was, meine Liebste?«
»Das Parfüm, von dem unsere Königin gesprochen hat? Mit dem man in seine früheren Leben sehen kann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber du hast gesagt, du würdest es finden.«
»Ich habe gesagt, wenn es so etwas gibt, tue ich mein Bestes, um es zu finden.«
»Ich will es riechen.«
»Es ist für die Königin.«
Iset entzog sich ihm. »Und mir würdest du es nicht geben?«
»Lass uns nicht jetzt darüber reden.« Er vergrub seine Nase an ihrem Hals. »Es gefällt mir hier drin. So schön dunkel und kühl. Genau richtig für …«
»Wer ist dir wichtiger?«
»Iset …« Thot ließ seine Hände ihren Rücken hinuntergleiten und zog sie an sich.
Zum ersten Mal, seit sie einander kannten, blieb Iset von seinen Berührungen unbewegt. Seine Küsse brannten nicht auf ihrer Haut.
»Antworte mir.«
»Du stellst mich vor eine schreckliche Entscheidung. Ich kann meine Königin nicht verraten.«
Iset verkrampfte sich.
»Und ich kann dich nicht verraten.«
Sie atmete den Duft seiner Haut. Bergamotte, Zitrone, Honig, Ylang-Ylang und Moschus. Sein eigener Geruch gefiel ihr weit besser als alle Düfte, die er erschuf.
»Ich bewahre dein Geheimnis, Thot. Tue ich das nicht immer?«
Dreiundvierzig
PARIS, FRANKREICH
27. MAI, 13:36 UHR
Der Nebel war feucht und kalt wie ein Winterregen. Jac fröstelte. Sie fühlte sich orientierungslos und schwindlig. Irgendwo in der Ferne hörte sie Stimmen. Vielleicht konnte sie ihnen folgen, um aus diesem Dunkel herauszukommen. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Wo waren sie?
»Was hast du mit der Schusswaffe gemacht?«, fragte Griffin Robbie.
Jac fand sich in der unterirdischen Kammer wieder. Das Wasser tropfte beharrlich. Die Luft roch nicht mehr nach exotischen Ölen und Gewürzen, sondern nach Ton und Erde. Wie lange hatte diese Halluzination gedauert? Jac war es wie eine halbe Stunde vorgekommen, doch vermutlich war wie beim letzten Mal keine Minute vergangen.
»Sie ist im ersten Tunnel hinter einem Stein versteckt«, antwortete Robbie auf Griffins Frage.
Jac fiel es schwer, ihrer Unterhaltung zu folgen. Sie fühlte sich völlig zerschlagen, als habe sie lange und unruhig geschlafen.
Ja, schlafen … Ihre Therapeuten hatten Jac damals beigebracht, sich ihre Träume zu merken, um sie analysieren zu können. Letzte Nacht hatte sie geträumt, sie habe sich im Gartenlabyrinth verlaufen. Von der Mitte her rief jemand nachihr. Jemand, der nicht um Hilfe bat, sondern ihr selbst welche anbot. Jac würde alles verstehen, wenn sie nur den Weg in die Mitte fand, versprach ihr die Stimme. War es ein Mann oder eine Frau gewesen? Jac hatte es nicht erkannt, oder sie hatte es vergessen. Das kleine Labyrinth im Garten ihres
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