Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Hauses hatte so gewaltige Ausmaße angenommen, dass sie sich verirrt hatte.
Nicht jeder Traum hatte eine symbolische Bedeutung. Das Labyrinth war früher ihr liebstes Versteck gewesen, der Rückzugsort für sie und ihren Bruder. Kein Wunder, dass sie davon träumte.
»Jac. Lass mich das einpacken«, sagte Robbie.
Was wollte ihr Bruder von ihr? Er deutete auf ihre Hände. Sie sah hinunter und stellte fest, dass sie noch immer die Tonscherben umschlossen hielt. Robbie nahm sie an sich.
»Hast du eine Ahnung, warum sie jemand so dringend haben wollte?«, fragte Griffin Robbie.
Robbie wickelte die Scherben sorgfältig wieder ein. »Finanzielle Motive kann man wohl ausschließen, also muss es um ihren symbolischen Wert gegangen sein.«
Griffin nickte. »Ja, oder … oder es geht gerade darum, zu verhindern, dass sie zum Symbol werden. Zu verhindern, dass du sie dem Dalai Lama gibst.«
»Warum sollte jemand etwas dagegen haben, wenn du sie an den Dalai Lama verschenkst?«, fragte Jac.
»Natürlich!«, sagte Robbie zu Griffin. »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.«
»Ich verstehe gar nichts mehr. Könnt ihr mir mal sagen, worum es hier geht?«, fragte Jac die beiden Männer.
»Trotz all ihrer Bemühungen ist es den Chinesen bis heute nicht gelungen, die tibetische Kultur zu zerstören«, sagte Robbie. »Ihr neuester Versuch ist ein Gesetz, nach dem man Wiedergeburten registrieren lassen muss. Lächerlich, ich weiß. Aber sie haben es tatsächlich so verabschiedet. Sie wollen damitverhindern, dass Kinder aus den heiligsten Orten Tibets – wo am ehesten eine wirkliche Wiedergeburt zu erwarten ist – als Lamas anerkannt werden können. Wenn die Chinesen die Deutungshoheit über die Wiedergeburten erlangen, werden sie eines Tages bestimmen können, wer der nächste Dalai Lama wird.«
»Aber was hat das Tongefäß damit zu tun?«, fragte Jac.
»Mit diesen Tonscherben hält man einen Hinweis in der Hand, dass sich die Reinkarnation womöglich beweisen lässt.«
Robbie steckte die eingewickelten Scherben in den purpurroten Beutel zurück.
»Und deshalb der ganze Ärger?«, fragte Jac. »Die Scherben selbst beweisen doch gar nichts.«
»Nein«, sagte Robbie. »Aber sie verkörpern eine Möglichkeit, die extrem wichtig ist. Dem tibetischen Glaubenssystem nach kann nur ein Karmapa oder ein Panchen Lama den neuen Dalai Lama anerkennen. Die letzten drei in Tibet gefundenen Panchen Lamas sind alle verschwunden. Die Chinesen haben die Suche nach hochrangigen Lamas sabotiert, um ihre Macht zu festigen. Tibets Zukunft ist in Gefahr, und das hier ist ein kleines Stück Munition für den spirituellen Kampf.« Er klopfte auf seinen Brustbeutel.
»Aber wie weit willst du gehen, um diese Munition zu übergeben?«, fragte Jac. »Jemand ist gestorben. Und du, Robbie, lebst auf einem unterirdischen Friedhof. Kannst du die Scherben nicht in irgendeinem Loch bei den Knochen verstecken? Wir sollten zur Polizei gehen. Du hast schließlich in Notwehr gehandelt, und …«
»Nein, Jac. Nein.« Robbie legte den Arm um sie. »Ich muss das hier zu Ende bringen.«
»Aber warum?«
»Was hast du jetzt vor?«, fragte Griffin.
»Ich kann es nicht riskieren, festgenommen zu werden, bevorich Seiner Heiligkeit die Scherben überreicht habe. Er wird morgen in Paris sein, und dann …«
»Willst du bis dahin etwa hier bleiben?«, unterbrach ihn Jac. »Ja.«
»Das ist zu gefährlich«, beharrte sie.
»Das ist für mich der sicherste Ort in ganz Paris. Weißt du überhaupt, wie komplex dieses Labyrinth ist? Wenn irgendjemand kommt, den ich nicht erwartet habe, kann ich innerhalb kürzester Zeit verschwinden.«
Jac konnte Robbies Gottvertrauen weder verstehen noch teilen. Doch sie konnte es spüren, selbst hier, dreißig Meter unter der Erde, in einem riesigen Friedhof, und konnte sehen, wie viel Gelassenheit es ihm verlieh. Oft hatte sie ihn um seine Spiritualität beneidet, doch heute nicht.
»Hier könnten sich Kriminelle herumtreiben oder Verrückte. Du bist einfach nicht sicher.«
»Und da oben war ich es?«
»Robbie, ich habe mit einer buddhistischen Nonne gesprochen«, warf Griffin ein. »Sie sagte, sie käme vom Buddhistischen Zentrum und dass sie dir dort weiterhelfen können.«
»Das heißt, der Lama kann für mich ein Treffen arrangieren?«
Griffin nickte. »Sie hat angeboten, Jac und mir bei der Suche nach dir zu helfen. Dazu wollte sie sogar irgendwelche mythischen Kräfte mobilisieren.«
»Wenn du das Angebot angenommen
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