Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
hättest, hättet ihr mich vielleicht schneller gefunden. Sie ist aus dem Zentrum hier in Paris?« Robbie klang begeistert.
»Ja, und sie wollte sich mit dir treffen.«
»Gut. Bringt sie her.«
»Hierher?«, fragte Jac. Sie schüttelte den Kopf, stand auf und ging zum Ausgang der Kammer. Mit einer Hand auf den kühlen Torbogen gestützt, sah sie hinaus. Sie hatte ihren Helm mitder Lampe abgenommen, und alles, was sie sah, war ein dunkler Tunnel, der in der unendlichen Finsternis verschwand. Sie atmete den Geruch von porösem Gestein und Pilzen und stellte sich vor, sie würde nie wieder etwas anderes riechen. Ohne es selbst zu bemerken, begann sie, das alte Spiel ihrer Kindheit zu spielen. Sie drehte sich nach ihrem Bruder um.
»Wenn ich ein Parfüm der Vergeblichkeit erschaffen sollte, wüsste ich schon, wie es riecht.«
Robbie kam zu ihr und legte einen Arm um sie. »Es wird schon alles gutgehen.«
»Nein, Robbie, wird es nicht. Wir sind keine Kinder mehr, die so tun können, als ob.« Sie riss sich von ihm los. »Überhaupt nichts wird gut. Jemand hat dich überfallen und war bereit, dich umzubringen. Die Polizei hält dich für einen Mörder. In zwei Wochen läuft unsere letzte Frist bei den Banken ab. Wir müssen Rouge und Noir verkaufen. Es gibt keine Geister und wiedergeborenen Seelen. Du bist in Gefahr, und ich habe diese …« Sie brach ab. Ihm von den Anfällen zu erzählen, würde niemandem weiterhelfen. »Du kannst nicht noch länger hier unten bleiben.«
Robbie sah sie eindringlich an. »Als du an dem Tiegel gerochen hast, ist etwas mit dir passiert, oder?« Er hatte unvermittelt ins Französische gewechselt und sprach sehr schnell.
»Wie meinst du das?«
»Du hast eine viel sensiblere Nase als ich und als jeder andere, den ich kenne. Was ist passiert, als du daran gerochen hast?«
»Nichts. Du steigerst dich in etwas rein«, sagte Jac. »Wie Papa.« Das letzte Wort spuckte sie aus wie etwas Giftiges. »Wir haben jetzt keine Zeit für Phantastereien.«
»Was hast du gesehen?«, beharrte Robbie.
»Du hast etwas gesehen?«, fragte Griffin.
Sie vermied es, einem der beiden in die Augen zu blicken. Eigentlich wollte sie es zugeben, wollte flüstern, was sie gesehenhatte, um der Vision nicht durch laute, klare Worte zu viel Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch sie konnte es nicht. Ein psychotischer Schub ließ sich leicht in eine Erinnerung an frühere Leben umdichten, wenn man unbedingt daran glauben wollte. Malachai hatte in der Schweizer Klinik nach genau solchen Geschichten gesucht. Bestimmt hatte er Robbie und Griffin davon erzählt. Wahrscheinlich würden sie versuchen, ihre Visionen zu überprüfen. Es würde nur weiter das Feuer anfachen, das schon viel zu hell in ihnen brannte.
»Gar nichts habe ich gesehen.«
Aber was, wenn es tatsächlich einen Zusammenhang gab? Jahrelang war sie von diesen schrecklichen Schüben verschont geblieben, und seit sie wieder in Paris und in der Werkstatt war, waren sie stärker denn je. Wie hing das eine mit dem anderen zusammen? Ganz sicher war es keine paranormale oder spirituelle Verbindung. Doch die Halluzinationen konnten eine Reaktion auf einen bestimmten Geruch sein. Vielleicht auf eine Kombination von Zutaten, die es sowohl in der Werkstatt als auch in diesen Tonscherben gab? Das hatte sie sich schon am Mittwoch gefragt. Jetzt schien es ihr noch wahrscheinlicher. Es war bekannt, dass Reizüberflutung starke mentale Reaktionen auslösen konnte. Warum nicht auch olfaktorische Reizüberflutung?
Griffin hatte begonnen, seinen Rucksack auszupacken und die Vorräte vor sich auszubreiten, die sie am Vormittag eingekauft hatten. Eine Rolle Toilettenpapier. Eine leistungsstarke Lampe. Batterien.
Um die Diskussion zu beenden, griff auch Jac nach ihrem Rucksack und öffnete ihn. Sie brachte ein Baguette zum Vorschein, ein Stück Käse, ein Messer, vier Äpfel, hartgekochte Eier, Energieriegel und Wasser.
»Kinder, das ist zu viel des Guten«, lachte Robbie. »Da fehlt ja nur noch der Wein.«
Griffin lachte mit. »Wein gibt es auch. Er ist sogar dekantiert.« Er zog eine Plastikflasche hervor. »Hier drin ist Bordeaux aus deinem Keller, also gehe ich mal davon aus, dass es ein edler Tropfen ist. Trink aber nur, wenn du ein sicheres Plätzchen hast, um dich anschließend auszuschlafen.«
»Ich gehe nicht wieder hoch. Ich bleibe hier bei dir«, verkündete Jac plötzlich. »Allein bist du einfach nicht sicher.«
»Das hilft bestimmt weiter, wenn die
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