Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Staub. Dein Bruder hat schon gesagt, dass ich eine ziemlich unsensible Nase habe.«
Jac lächelte.
»Wenn überhaupt jemand herausfinden kann, woraus der Duft besteht, dann du«, sagte Robbie. »Vier Ingredienzien kennen wir schon. Meinst du, du kannst herausfinden, was noch darin ist?«
»Was hätten wir davon? Unsere Vorfahren haben das Tongefäß mit irgendeinem Parfüm getränkt, um sich wichtigzumachen. Du jagst einem Traumgebilde nach.«
»Jedes Parfüm ist ein Traumgebilde. Also, was riechst du?«, drängte Robbie sie.
Jac schloss die Augen und atmete noch tiefer ein. Füllte ihre Nase mit allem, was sie umgab. Griffins Eau de Cologne. Robbies strengem Geruch. Der uralten Duftmixtur auf dem zerbrochenen Ton. Sie begann sie zu analysieren. »Weihrauch. Blauer Lotus.«
In weiter Ferne hörte sie Wassertropfen mit einem leisen Ploppen in eine Pfütze fallen. In einem gleichmäßigen Rhythmus, einen nach dem anderen. Wasser. Tropfen. Wasser. Ein stetiges, beruhigendes Geräusch.
Zweiundvierzig
ALEXANDRIA, ÄGYPTEN, 32 V. CHR.
Im Hauptraum seiner Werkstatt gab es einen Brunnen, an dem Iset gern lag, wenn sie und Thot sich geliebt hatten. Sie verlor sich in Wolken aus Parfüm. Lauschte dem Plätschern des Wassers. Manchmal schlief sie ein, während er sich wieder an die Arbeit machte. Er ließ sie ruhen, bis es Zeit war, seine abendlichen Rituale zu beginnen. Dann wusch sie sich und eilte nach Hause. Wenn man dort je ihr Fehlen bemerkte, wenn ihr Ehemann Diener aussandte, wenn man sie hier fand und ihre Untreue entdeckte, könnte ihr Ehemann sie töten lassen. Als Adligem gebührte ihm dieses Privileg.
Plötzlich schreckte das Geräusch vieler Schritte sie auf.
»Wer kommt da?« Ängstlich wandte sie sich an ihren Geliebten. »Erwartest du Besuch?«
Thot schüttelte den Kopf. »Lauf in den Lagerraum. Warte dort«, flüsterte er. Iset sprang auf, streifte sich ihr Leinenkleid über, rannte zum Lagerraum und schlüpfte hinein.
Ein überwältigendes Durcheinander aus Gerüchen schlug ihr entgegen. Hier bewahrte der Hofparfümeur die Öle und Pasten auf, aus denen er die Parfüms für seine Königin schuf. Iset schob ein paar Tonbehälter auf einer steinernen Bank beiseite und setzte sich. Sie bebte vor Angst. Die Schritte näherten sich. Es waren viele.
Um sich zu beruhigen, begann Iset die Gefäße zu öffnen und an ihrem Inhalt zu schnuppern. Es gab Zimt, Balsamöl und Extrakte von Iris, Lilien, Rosen und Bittermandelblüten. In einem Alabastertiegel war ein Parfüm, ein üppiger, komplexer und runder Duft, in dem kein Einzelelement zwischen den anderen hervorstach.
Plötzlich überkam Iset tiefe Trauer. Eine Vorahnung ihres eigenen tragischen Schicksals. Diese Leidenschaft würde in einer Katastrophe enden. Und sie wäre schuld daran. War sie das nicht immer? Schon als sie ein Mädchen war, hatte ihre Mutter oft im Scherz gesagt, dass sie immer wusste, wo sie ihre Iset finden konnte, wenn es irgendwo Probleme gab.
Jetzt kamen Leute in die Werkstatt. Thot begrüßte sie. Doch Iset konnte sich nicht konzentrieren. Sie sah einen Fluss. Barken, die rasch flussabwärts strebten. Starke, frisch geölte Männer ruderten aus Alexandria davon. Soldaten hielten Wache. Frauen klagten, Kinder klammerten sich an ihre Beine.
Ein Teil ihres Geistes verlor sich in der Vision, doch zugleich war ihr bewusst, dass sie wahrscheinlich auf einen der Duftstoffe reagierte. Thot hatte ihr erzählt, dass es Parfüms gab, die Halluzinationen auslösen konnten.
Sie musste ihr Gleichgewicht wiederfinden, musste aufmerksam sein, um sich nicht zu verraten. Also kämpfte Iset gegen den inneren Nebel an und begann die Deckel und Stopfen wieder zu schließen. Eins der Gefäße entglitt ihr und zerbrach.
Iset hielt den Atem an und lauschte. Vor der Tür herrschte noch immer reges Treiben; vielleicht hatte niemand das Geräusch gehört. Ihre Benommenheit wich allmählich wieder.
In der Werkstatt legte sich der Lärm.
»Wirkt die Mixtur, die Euch beim Einschlafen helfen soll?«, fragte Thot einen seiner Gäste.
»Ja, viel besser als der Wein. Ich habe am nächsten Morgen keine Kopfschmerzen wie von den vergorenen Trauben.«
Iset schlug die Hand vor den Mund, um nur ja keinen Laut von sich zu geben. Die Stimme da vor der Tür war die ihrer Königin. Warum war Kleopatra persönlich in die Werkstatt ihres Parfümeurs gekommen?
»Braucht Ihr mehr davon?«
»Wahrscheinlich bald, Charmion wird dir Bescheid geben.« Das
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