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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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»
ver- rückt
« war. Audrey gebrauchte diesen Ausdruck sowohl für Jac als auch für ihren Vater und lachte dabei: »ver
rückt
«, mit einem lustigen Kiekser auf der zweiten Silbe, als sei es wundervoll, so ganz anders zu sein. Und nicht die Tragödie ihres Lebens.
    »Ich brauche jetzt ein Bad.« Jac stürzte den Rest ihres Tees hinunter. »Wir müssen heute noch ins Buddhistische Zentrum. Robbie hat uns den Namen des Lamas gegeben, der ihn dort unterrichtet hat. Er war schon dabei, das Treffen zu arrangieren. Wenn wir das hinter uns haben, wird hoffentlich endlich wieder alles normal.«
    Jac drehte sich um und lief zur Treppe ins Obergeschoss. Ihr ging es gut, sagte sie sich. Alles war unter Kontrolle. Sie hätte nur gern gewusst, warum ihr bei dem Wort
normal
die Stimme versagte.
    Auf der Treppe wurden ihr die Beine so schwer, dass jeder Schritt ihr Mühe machte. Der Rücken tat ihr weh. Jac klammerte sich an das Geländer wie eine alte Frau.
    Im Badezimmer drehte sie die Wasserhähne auf und gab eine ordentliche Portion Badesalz in die Wanne. Und dann noch eine. Sie musste den Gestank der Katakomben und den Geruch der Tonscherben loswerden.
    Als die Kristalle sich aufzulösen begannen, berührte ihr Duft Jac wie eine Umarmung. Sie hatte nicht auf das Etikett geachtet– es war Rouge. Jacs Mutter mochte Noir lieber, doch für Jac gab es nichts Schöneres als Rouge. Es war das erste wahrhaft bedeutende Parfüm des Hauses, erschaffen von Giles L’Étoile, den, wie Jacs Großvater ihnen erzählte, seine Ägyptenreise in den 1790er Jahren zu der Kreation inspiriert hatte. Rose und Lavendel mit Zibet, einem der geheimnisvollsten Duftstoffe, die es gab.
    Diesen moschusartigen Duft hatte man seit Tausenden von Jahren aus Zibetkatzen gewonnen, bis Tierschützer dagegen protestierten und die Branche dazu überging, synthetische Alternativen zu verwenden. Die meisten Menschen bemerkten keinen Unterschied. Jac schon, nicht jedoch bei dem Badesalz.
    Plötzlich fiel ihr etwas auf. In ihren Visionen war Giles L’Étoile in Ägypten gestorben. Marie-Geneviève hatte es das Herz gebrochen. Ihr Vater hatte eine zweite Ehe arrangiert, vor der sie ins Kloster geflohen war. Wie konnte Giles dieses Parfüm also nach seiner Rückkehr erschaffen haben?
    Jac setzte sich auf den Wannenrand und zog ihre Schuhe und Socken aus. Was kümmerten diese Tagträumereien sie überhaupt? Sie war krank. Ihre Anfälle waren wieder da. Sie konnte ihren Einbildungen genauso wenig trauen wie damals, als sie vierzehn war. Jac schlüpfte aus ihren Jeans und streifte sich den Pullover über den Kopf. Zog ihre Unterwäsche aus. Dann stopfte sie alles in den Rucksack, machte den Reißverschluss zu, warf ihn in eine Ecke und schnupperte.
    Er war immer noch da. Irgendwo unter dem Dunst von Staub und Gestein, unter Anis Wacholdergeruch, war noch immer das Parfüm aus den Tonscherben zu spüren.
    Jac schlüpfte in einen Bademantel, packte den Rucksack und riss die Tür auf. Im Flur stieß sie fast mit Griffin zusammen.
    »Was hast du vor? Stimmt etwas nicht?«, fragte er.
    »Ich muss die dreckigen Sachen loswerden. Am besten in dieKüche damit. Dieser Katakombengestank ist unerträglich. Er hängt in meinen Haaren, auf der Haut …«
    Griffin nahm ihr den Rucksack aus der Hand. »Steig in die Wanne, ich kümmere mich darum.«
    Das Badezimmer war inzwischen von Schwaden aromatischer Dämpfe erfüllt. Jac atmete tief ein, als sie sich ins Wasser gleiten ließ. Sie konzentrierte sich ganz auf den Wohlgeruch, der sie umgab. Anklänge von Myrrhe und Benzoe. Und Rosen mit ihrem unermesslich sinnlichen, üppigen Duft.
    Das Wasser wäre ihr zu heiß gewesen, hätte sie nicht den Gestank und den Schmutz und die Erschöpfung abwaschen wollen.
    Jac schloss die Augen und versank in einen angenehmen Dämmerzustand, wie ihn nur die plötzliche Entspannung nach einer großen Anstrengung erzeugt. Sie hielt die Augen selbst geschlossen, als die Tür auf- und zuklappte und Griffin ihr das Haare schamponierte und ihr den Kopf massierte, den Nacken, die Schultern. Als er mit sanften Bewegungen alle Anspannung aus ihren Muskeln vertrieb.
    Seine Hände waren wie Seide, die sie streichelte und umschloss. Die ihre Erschöpfung in Erregung verwandelte. Alles, was sie roch, waren in Harz getränkte Rosen, alles, was sie sah, war Wasserdampf. Als sei Griffin gar nicht wirklich da. Nur Nebel und Erinnerung, Duft und Magie.
    Es war nicht nur ein Mann, der Jac berührte. Auch Griffin, ja,

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