Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
das linke Seine-Ufer mit dem Place de la Concorde verband. Für diesen Weg hatten sie sich am Abend zuvor entschieden. Mitten über der Seine nahm Griffin Jacs Arm und zog sie zum Geländer. Seite an Seite sahen sie auf den Fluss hinab.
»Wir könnten ganz normale Touristen sein«, sagte Jac.
»Oder Liebende.« Griffin küsste sie.
Ein Manöver? Wollte er potentielle Verfolger verwirren?
»Ich will dich nicht noch einmal verlieren«, sagte er, als er sich endlich von ihr löste.
Griffin hatte Jac erzählt, dass seine Frau und er in Trennung lebten. Doch das war etwas anderes, als geschieden zu sein. Und immer, wenn er von Elsie und Therese sprach, lag etwas in seiner Stimme, das Jac an einem endgültigen Bruch zweifeln ließ.
»Wir beide müssen reden, Jac, wenn Robbie erst in Sicherheit ist.«
Am anderen Seine-Ufer spazierten sie unter dem Schutzder Arkaden die Rue de Rivoli entlang. Als sie das Hôtel de Crillon erreichten, blieb Jac unvermittelt stehen. »Was hältst du von einem Kaffee?«, fragte sie, als sei ihr gerade ein spontaner Einfall gekommen. Nicht so, als hätten Malachai, Griffin und Jac zwei Stunden damit verbracht, auszutüfteln, wie sie unbeobachtet in die Orangerie gelangen konnten.
Eine halbe Stunde darauf hatten sie ihr kurzes
petit déjeuner
im Hotelrestaurant beendet. Griffin zahlte, und sie schlenderten durch die Lobby auf den Fahrstuhl zu.
In der Kabine drückte Jac den Knopf für das Untergeschoss.
Dort erwartete sie ein geschäftiges Durcheinander. Kellner, Handwerker, Zimmermädchen und andere Hotelangestellte eilten mit ihren Tabletts, Wäschewagen und Werkzeugen hin und her.
»Wohin jetzt?«, fragte Griffin.
Im Internet hatten sie keinen Grundriss gefunden. Und Jac war zum ersten und letzten Mal mit dreizehn Jahren hier gewesen. Sie erinnerte sich an alles Mögliche, nur nicht daran, wo der Ausgang war.
Ein berühmter Musiker und seine Frau hatten damals im Haus L’Étoile eine größere Menge parfümierter Produkte bestellt – Seifen, Kerzen und vieles mehr – und darum gebeten, sie direkt in ihr Hotel zu liefern. L’Étoile wusste, wie sehr seine Tochter den britischen Rockstar verehrte. Also hatte er beschlossen, die Bestellung persönlich vorbeizubringen und Jac mitzunehmen. Vater und Tochter hatten das Hotel durch den Haupteingang betreten, den einzigen, den Louis bis dahin kannte. Doch der Concierge hatte sich geweigert, die Lieferung anzunehmen. Er hatte den Parfümeur nicht einmal zu Ende angehört, sondern sie zur Tür geleitet und ihnen erklärt, wo der Lieferanteneingang war.
Louis L’Étoile war empört. Wutentbrannt stürmte er, leise vor sich hin fluchend, aus dem Hotel. Jac hatte Mühe, mitihrem Vater Schritt zu halten. Doch bis sie am Hintereingang angekommen waren, hatte er sich wieder beruhigt.
Kurz darauf klopften sie an die Tür der Suite, in der der Musiker wohnte. Jac war von dem hochgewachsenen Mann mit dem markanten Gesicht hingerissen. Sein Autogramm auf der Rückseite des Lieferscheins hing bis heute gerahmt an ihrer Schlafzimmerwand in der Rue des Saints-Pères.
Für Jac – hör nie auf, hinzuhören. Du weißt nie, was du dabei entdecken wirst.
Eine resolute Reinemachfrau riss Jac aus den Gedanken. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie fast schon barsch. Sie schien sich nur für den Fall zurückzuhalten, dass sie verirrte Hotelgäste vor sich hatte.
»Wir haben gerade etwas abgeliefert und uns irgendwie verfranst«, sagte Jac. »Wo geht es noch mal raus?«
Mit Hilfe der Hotelangestellten fanden Griffin und Jac den Hinterausgang auf die Rue Boissy d’Anglas, eine ruhige Seitenstraße hinter der Place de la Concorde.
Auch wenn sie ziemlich sicher waren, dass niemand mit ihrem Umweg durch den Hintereingang gerechnet hatte, gingen sie vorsichtshalber erst einmal weiter bis zur Rue Saint-Honoré, bummelten gemächlich bis zur nächsten Ecke und dann nach rechts auf die Rue Royale, die sie wieder zur Rue de Rivoli führte. Bei einer Buchhandlung überquerten sie die Straße und betraten den Jardin des Tuileries. Jetzt waren es nur noch ein paar Minuten Spazierweg bis zum Musée de l’Orangerie, wo sie sich in eine kurze Schlange vor dem Eingang einreihen mussten. Weder Robbie noch Malachai waren dort, es sei denn, sie waren schon hineingegangen.
Sie hatten vereinbart, bis spätestens elf Uhr fünfzehn einzutreffen. Jetzt war es kurz nach elf.
Die Besucherschlange kam nur langsam vorwärts. An Samstagen waren die Museen immer sehr voll.
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