Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Substanz besaß, die er für ein Portal in frühere Leben hielt. Die Stiftung finanzierte seine Versuche, auf der Basis dieses Überrests ein neues Parfüm herzustellen.«
Jac überlegte. »Damals brauchte man dafür sicher eine Menge Glück. Wenn der Duftstoff aus dem Alten Ägypten stammte, war im neunzehnten Jahrhundert viel davon verdunstet. Ätherische Öle verlieren mit den Jahren an Gehalt. Und mancheZutaten gab es gar nicht mehr. Selbst wenn man sie noch riechen konnte, konnte man sie vielleicht nicht mehr identifizieren oder beschaffen.«
Malachai starrte sie fassungslos an.
»Was ist?«
»Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass das Parfüm aus Ägypten stammt.«
Irgendwo im Gebäude klingelte ein Telefon, und eine Tür fiel ins Schloss. Jac hatte sich so sehr auf das Gespräch konzentriert, dass sie die Anwesenheit der anderen Mitarbeiter vollkommen vergessen hatte. Sie schüttelte den Kopf und nahm den Faden wieder auf. »Selbst wenn ich dir helfen wollte, Malachai – das Durcheinander hier in dem Flakon ist wohl kaum als Ausgangsbasis zu gebrauchen. Das sind vier oder fünf typische Grundzutaten.«
»Aber wir
haben
eine Ausgangsbasis«, beharrte er. »Der Parfümeur muss an einer bestimmten Rezeptur gearbeitet haben. Wir haben elf Versionen dieses Parfüms, Jac.«
»Das wusste ich nicht. Elf Versionen. Warum elf? Das ist eine ungewöhnliche Anzahl.«
»In dem Behälter war Platz für zwölf Flakons.«
»Vielleicht ist einer kaputtgegangen?«
»Vielleicht war einer die gesuchte Erinnerungshilfe.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist ein Mythos. Und du hast mir selbst beigebracht, dass Mythen nichts anderes sind als die kollektiven Träume einer Kultur. Kleine Geschichten und Anekdoten, wie man sie tausendfach erzählt, nur dass diese besonders beliebt sind, weil sie zu den Strukturen des kollektiven Unbewussten passen. Die Geschichten werden weitergereicht, verändern sich und werden immer ausschweifender und unwahrscheinlicher. Wie Stalaktiten, die mit jedem Wassertropfen ein wenig größer werden.«
»Robbie und Griffin haben mir prophezeit, dass es nicht einfachwerden würde, dich zu überzeugen. Ich habe gesagt, du seist viel offener, als sie denken. Offenbar habe ich mich geirrt.«
Jac packte die zu Löwenköpfen geschnitzten Armlehnen ihres Sessels. Ihre Fingerspitzen gruben sich in die Vertiefungen im Holz. »Griffin?« Sie bemühte sich, ruhig und gleichmütig zu klingen.
»Griffin North. Ein Freund deines Bruders. So wie er über dich sprach, habe ich angenommen, dass ihr einander kennt.«
Griffins Namen in diesem Kontext zu hören verwirrte sie. »Ja, wir kennen uns … Wir kannten uns mal. Ich habe ihn lange nicht gesehen. Woher kennst du ihn?«
»Robbie hat uns einander vor ein paar Monaten vorgestellt. Griffin wollte mit Hilfe unseres Archivs seine Forschungen für eine neue Veröffentlichung vorantreiben. Es muss ungefähr vor zwei Wochen gewesen sein, dass Robbie ihn hier besucht hat. Es war sicher alles andere als ein Zufall, dass Griffin ihm ausgerechnet die Parfümflakons zeigte. Ich selbst hatte längst vergessen, dass es sie gibt.«
»Ich wusste gar nicht, dass sich Robbie mit Griffin getroffen hat.«
Jac hatte Mühe weiterzusprechen. Dann arbeitete Griffin also hier? War er genau jetzt in diesem Gebäude? Hatte eben sein Telefon geklingelt? War es seine Tür gewesen, die sie gehört hatte?
Sie hatte sein erstes Buch kurz nach der Veröffentlichung in einer Buchhandlung entdeckt. Hatte vor dem Regal stehend den Klappentext und die Autorenbiographie gelesen. Seither wusste sie, dass er in New York und Ägypten lebte, dass er an einer bedeutenden Ausgrabungsstätte bei Alexandria arbeitete, verheiratet und Vater eines Kindes war. Lauter öffentlich zugängliche Fakten, denen sie nicht ausweichen konnte.
Es gefiel ihr nicht, mehr über ihn zu erfahren, als sie wollte. Zugleich war sie eifersüchtig auf Robbie und Malachai. Aufdas Zimmer, das Griffins Atem umschloss, und den Stuhl, der sein Gewicht trug. Jac vermied es wohlweislich, sich dem süßen Schmerz der Erinnerung hinzugeben. Sich zu fragen, wen er geheiratet hatte. Wie alt sein Sohn oder seine Tochter war.
Griffin hatte sie verletzt. Sie verlassen. Wer einen einmal im Stich ließ, ein einziges Mal nur, dem konnte man nie wieder vertrauen.
»Es tut mir leid.« Jac stand auf. Es hatte nichts damit zu tun, dass Griffin hier arbeitete. Es war absurd, auch nur darüber zu spekulieren, ob ein Parfüm den Blick in
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