Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
der Handschuhhersteller,sich erstmals mit Düften vertraut gemacht hatte, um die Lederhandschuhe zu parfümieren, die er in eben diesem Laden verkaufte. Griffin öffnete die Tür und lauschte dem altertümlichen Bimmeln der Ladenglocke. Ob das dieselbe Glocke war, die schon zu Jean-Louis’ Zeiten Besucher ankündigte?
Lucille, die Filialleiterin, legte eine Zeitschrift beiseite und begrüßte ihn. Mit ihrem modernen schwarzen Etuikleid, den schwarzen Pumps und einem eleganten Halstuch bildete sie einen harten Kontrast zur Ladeneinrichtung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Alle Wände waren mit fleckigen alten Spiegeln ausgekleidet, selbst an der Decke hingen Spiegel. Die pastellfarbenen Putten und Blumen auf ihren Rahmen erinnerten an die Gemälde Fragonards. Vier über den Raum verteilte Tischchen aus der Ära Ludwigs XIV. waren ebenso Originale wie die mit grüner Seide gepolsterten Sessel und die Palisanderschaukästen mit dem alten Parfümeriezubehör. Auf verspiegelten Regalen standen große Schauflakons der vierzig Parfüms des Hauses L’Étoile – »Facticen«, wie Robbie sie nannte – mit den berühmtesten Düften vorn in der Mitte. Blanc, Verte, Rouge und Noir waren alle zwischen 1919 und 1922 kreiert worden und zählten noch immer zu den erfolgreichsten Parfüms der gesamten Branche, zu den großen Klassikern neben Chanel No. 5, Shalimar und Mitsouko.
Lucille sagte, Robbie warte bereits, und drückte gegen eine der Spiegelflächen. Griffin ging durch die verborgene Tür und einen geheimen Gang entlang, der vom Laden in die Werkstatt führte. Der Flur war schmal, dunkel und im Gegensatz zu den Räumen, die er verband, vollkommen schmucklos.
Griffin klopfte.
»
Entrez
.«
Er öffnete die Tür.
Obwohl er bereits seit vier Tagen mit Robbie hier arbeitete, setzte ihn die jahrhundertealte Werkstatt jedes Mal wieder inErstaunen. Es war, als betrete man ein Kaleidoskop aus Farben und Gerüchen. Tausende Fläschchen mit Flüssigkeiten in den verschiedensten Gelb-, Ocker-, Grün- und Brauntönen glitzerten und glänzten in der Morgensonne. Verglaste Flügeltüren führten hinaus in einen üppigen, fast verwilderten Garten. Der Anblick war zauberhaft, solange man nicht genauer hinsah und feststellte, dass am Türrahmen der Lack abblätterte und die Blumen und Bäume dringend der gärtnerischen Pflege bedurft hätten.
Robbie saß am Schreibtisch, las etwas auf dem Computerbildschirm, wippte nervös mit dem Fuß und runzelte die Stirn.
»Was ist los?«, fragte Griffin.
Trotz der Krise, die sein Unternehmen bedrohte, war Robbie bisher immer ruhig geblieben und hatte sich seinen Problemen mit einem Gleichmut gestellt, die Griffin nicht nur bewundernswert, sondern fast schon unglaubwürdig fand. Es war das erste Mal, dass er seinen Freund aufgebracht erlebte.
»Ich habe die Ergebnisse der chemischen Analyse der Tonscherben bekommen.«
»Haben sie einige der Zutaten erkannt?«
»Ja.« Robbie wies auf den Bildschirm. »Im Ton ließen sich Spuren von mindestens fünf ätherischen Ölen nachweisen. Allerdings konnten nur drei davon identifiziert werden, und das waren genau die drei, die ich selbst schon erraten hatte.«
»Warum erkennen sie die anderen nicht?«
»Sie haben keine übereinstimmenden chemischen Fingerabdrücke in ihrer Datenbank. Vielleicht sind die Zutaten im Lauf der Jahre verdorben und deshalb nicht mehr erkennbar. Oder zwischen dem Ton und dem Wachs war eine Metallschicht, die die Komponenten verändert und die Analyse beeinträchtigt hat. Oder es gibt die Zutaten nicht mehr.«
»Verdammt.« Auch Griffin hatte sich mehr erhofft. Er angeltenach einem Stuhl und setzte sich an das große Schreibpult, seinen temporären Arbeitsplatz, Robbie gegenüber.
Robbie hatte ihm erklärt, dass jeder Leiter des Hauses L’Étoile die Geschäfte von eben diesem Tisch aus geführt hatte. Diese Kontinuität beeindruckte Griffin. Er fand die geschichtliche Perspektive tröstlich. Jeder Verlust, den ein Einzelner erlitt, wirkte aus der zeitlichen Distanz bedeutungslos. Es kam immer auf den richtigen Blickwinkel an. Darauf verließ sich Griffin, und der Gedanke gab ihm Halt, wenn nichts anderes mehr half.
»Was soll’s«, sagte Robbie und erhob sich. Seiner Stimme war anzumerken, dass sich seine Laune schon wieder zu bessern begann. »Vergessen wir, was diese GC-MS-Maschine sagt. Wir werden die Ingredienzien schon selbst herausfinden.« Er durchquerte den Raum und blieb vor einem hübsch gerahmten Stillleben
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