Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Priesterund Nonnen – die Kleider ab, stellten sie paarweise Rücken an Rücken und fesselten sie an den Handgelenken aneinander. Dann wurden sie von einem Boot aus in den Fluss geworfen und ertranken.«
Die vier blickten auf den rauschenden Strom hinaus, der an dieser Stelle nach Norden verlief. »Man nennt es nicht umsonst die Zeit der Schreckensherrschaft«, murmelte Sylvie, beugte sich vor und tauchte ihre Hände ins Wasser, wie um sich von der grausamen Geschichte zu reinigen. Neben ihr glänzte ein Stein in der Sonne, unter dem … Sie sah genauer hin. War das nicht eine Kreditkarte, die unter dem Stein hervorlugte? Sie griff danach. Es war kein Stein, sondern ein aufgeweichtes Portemonnaie.
»Was ist das?«, fragte Bob.
»Etwas, das irgendwer ganz schön vermissen muss«, sagte Sylvie und reichte es ihm.
»Wenn wir wieder im Ort sind, sollten wir es bei der Polizei abgeben.«
»Dann können wir das hier auch gleich mitnehmen«, rief John plötzlich. »Seht euch das an!« Er hielt einen schwarzen Lederschuh in der Hand.
»Der Schuh muss doch nichts mit dem Portemonnaie zu tun haben«, sagte seine Frau Olivia. »Du denkst immer gleich an das Schlimmste.«
Bob untersuchte das Portemonnaie genauer. »Kannst du bei dem Schuh den Hersteller erkennen?«
»Ja: J.M. Weston.«
»Dann gehören die Sachen bestimmt zusammen.«
»Jeder könnte sich Weston-Schuhe kaufen. Wir sind immerhin in Frankreich«, sagte Olivia.
»Ein teurer Schuh und ein teures Portemonnaie«, gab Sylvie zu bedenken, »und beides wurde keine zwei Meter voneinander entfernt ans Ufer geschwemmt.«
»Findest du seinen Namen im Portemonnaie?«, fragte John. »Hier unter der Zunge stehen nämlich Initialen. Wie reich muss man bitte sein, um seine Initialen in die Schuhe drucken zu lassen?«
»Reich genug, um in einer der hippsten Gegenden von Paris zu wohnen«, sagte Bob nach einem Blick in die Papiere. »Lauten die Initialen vielleicht R.L.E.?«
John hob die Augenbrauen und sah von einem zum anderen. »Also gehören die Sachen wirklich demselben Typen«, sagte er. »Wir sollten lieber zusehen, dass wir einen Polizisten finden.«
Dreiundzwanzig
PARIS, FRANKREICH
MITTWOCH, 25. MAI, 14:15 UHR
Jac sah ihn sofort, als er das Café betrat. Er hatte noch immer denselben federnden Gang; trotz seiner Körpergröße bewegte er sich mit erstaunlicher Eleganz. Den Mund zusammengekniffen, blickte Griffin entschlossen geradeaus, die Augen graublau wie sturmgepeitschtes Meer. Doch als er Jac entdeckte, lächelte er – sein typisches, gewinnendes Lächeln, bei dem sich der rechte Mundwinkel mehr hob als der linke. Sein graumeliertes, aber noch immer volles Haar fiel ihm in die Stirn. Er neigte den Kopf leicht zur Seite und zog kaum merklich die Augenbrauen hoch. In diesem einen, ersten Blick lag schon seine ganze Sorge um Jac, und sie musste daran denken, wie es sich angefühlt hatte, als sie zusammengehörten.
Stundenlang hatte sie sich dieses Wiedersehen ausgemalt und war nie auf den Gedanken gekommen, dass sie einander umarmen könnten, doch jetzt schlang Griffin, noch ehe das erste Wort gewechselt war, die Arme um sie und zog sie fest an sich.
Sie atmete seinen Geruch – denselben, nach all den Jahren.
»Es tut mir so leid«, sagte er und löste sich von ihr. »Wir finden ihn, ganz bestimmt.«
Sie setzten sich. Trotz des Jetlag, trotz der Angst um Robbie und der Aufregung um den unbekannten Toten fühlte Jac sicherleichtert. Es war wahrhaftig Griffin, der ihr da gegenübersaß und ihr fest in die Augen blickte. Wie konnte er sie noch immer so tief berühren? Als wäre kein Tag vergangen – obwohl ein halbes Leben zwischen ihnen lag. Als er sie verließ, war sie so verzweifelt und wütend gewesen, dass sie ihn nie wiedersehen wollte. Doch jetzt brauchte sie seine Hilfe.
Der Kellner kam, und sie bestellten Kaffee.
»Es tut mir leid«, sagte Griffin noch einmal.
»Weshalb entschuldigst du dich dauernd? Hättest du etwa verhindern können, was passiert ist?«
Er zuckte mit den Schultern. »Nein, vermutlich nicht. Aber noch kurz bevor es passierte, war ich bei ihm. Ich war gerade erst losgegangen.« Er ließ sie nicht aus den Augen.
»Wie lange bist du schon in Paris?«, fragte Jac.
»Seit ein paar Tagen.« Er legte seine Hände auf den Tisch.
Die jahrelange Arbeit mit Sand und Gestein hatte ihre Spuren hinterlassen, und Jac stellte sich vor, wie rau seine Fingerspitzen sich anfühlen mussten.
»Beruflich?«
»Sozusagen. Als
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