Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
deiner Dissertation?«
Jac hatte sie schon vor Monaten lesen wollen. Immer wieder hatte er sie vertröstet, hatte gesagt, er wolle sie ihr erst zeigen, wenn sie fertig war. Jac hatte es akzeptiert. Sie wusste, dass er sich mit seinem Thema schwertat, dass die Recherchen nicht gut vorangingen und er unter großem Zeitdruck war. Als Griffin schließlich aufhörte, sich zu beschweren, nahm sie an, er hätte seine Probleme bewältigt.
Als sie dann heute Morgen in ihrem New Yorker Hotel früher aufgestanden war als er und ein wenig aufgeräumt hatte, hatte sie die Doktorarbeit aus seinem Rucksack ragen sehen.
Sie schlug die erste Seite auf.
Ich, Griffin North, erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertation »Griechische Einflüsse auf die Darstellung des Schmetterlings in der ägyptischen Kunst der Ptolemäerzeit. Von Horus zu Eros und Cupido und wieder zurück« selbstständig verfasst habe und …
Neben ihr tauchte ein Schmetterling seinen Rüssel in ein Wandelröschen. Ein zweiter kam dazu, schwarz mit roter Bänderung und weißen Flecken. Sie hatte vergessen, wie er hieß. Plötzlich gab es nichts Wichtigeres, als sich zu erinnern.
… selbstständig verfasst habe und dass ich alle von mir verwendeten Quellen in nachprüfbarer Weise zitiert und aufgelistet habe.
Doch das hatte er nicht getan. Griffin hatte ganze Absätze, ja ganze Seiten aus Jacs Abschlussarbeit übernommen, ohne sie als Quelle anzugeben.
Sie hatte sich bemüht, sich nicht aufzuregen. Er hatte nicht dasselbe Thema erforscht wie sie. Ihre Arbeit handelte nicht von griechischen Einflüssen auf die altägyptische Kunst. Doch er hatte sich ihre Erkenntnisse über den Symbolgehalt des Schmetterlings zunutze gemacht, um das Tier mit Eros und Cupido in Verbindung bringen zu können. Er hatte ihre Analyse gebraucht, um nachzuweisen, dass sich die Schmetterlingsdarstellungen in Gräbern aus der Spätzeit dem griechischen Erbe verdankten.
Wenn er sie danach gefragt hätte, hätte Jac ihm gern ihre gesamte Arbeit überlassen. Ohne den Doktortitel konnte er kaum auf eine Stelle in der Feldforschung hoffen, und dorthin zog es ihn am meisten: hinaus aus dem Elfenbeinturm, in die Wüste, mit Sand unter den Fingernägeln. An der Uni hatte es niemand leicht, doch für Griffin war es besonders hart gewesen. Sein Mentor hatte gewusst, dass Griffin auf seine Assistentenstelle angewiesen war und keine andere in Aussicht hatte. Das hatte er weidlich ausgenutzt und Griffin eine Menge Arbeit und Verantwortung aufgebürdet.
Jac hatte am Boden sitzend die gesamte Dissertation durchgelesen, wobei sie manches überflog und dann wieder genauer hinsah. Was er getan hatte, machte ihr nichts aus, doch er hatte es getan, ohne mit ihr darüber zu sprechen.
Als Griffin aufwachte, stellte sie ihn zur Rede.
Statt ihr alles zu erklären, hatte er ihr Vorwürfe gemacht, weil sie, ohne zu fragen, an seinen Rucksack gegangen war.
»Wenn jemand das sieht, wird er dich des Plagiats verdächtigen. Dafür kannst du deinen Titel verlieren«, sagte Jac.
»Es kommt nur raus, wenn du es jemandem sagst. Hast du das etwa vor?« Er schrie beinahe.
Jac sah sich plötzlich einem Fremden gegenüber. »Wie kannst du das überhaupt fragen?«
Griffin war ins Badezimmer gestürmt, hatte sich geduscht und angezogen und war ohne ein weiteres Wort gegangen. Hatte sie mit ihren Schuldgefühlen alleingelassen. Jac hatte gestaunt, wie manipulativ er sein konnte. So hatte sie ihn noch nie erlebt.
Um vier Uhr nachmittags hatte er angerufen und sie gebeten, zum Bootshaus zu kommen.
Jac hatte eine Entschuldigung erwartet. Sie war mehr als bereit, ihm zu vergeben. Und jetzt wollte er sie, statt alles wieder geradezubiegen, einfach verlassen?
Am Morgen danach schleppte sie sich mühsam aus dem Bett und zum Flughafen. Sie wollte nach Südfrankreich zu ihrer Großmutter, an den einzigen Ort, wo sie sich wirklich sicher fühlte. Dort wartete sie eine Woche lang jeden Tag auf einen Anruf oder eine Mail von ihm. Jeden Abend weinte sie vor Verzweiflung und konnte nur einschlafen, indem sie sich einredete, dass er sich am nächsten Tag melden würde, ganz bestimmt.
Jeden Morgen ärgerte sie sich über ihre Anhänglichkeit. Darüber, dass sie einen Mann vermisste, der nicht einmal den Mumm hatte, um sie zu kämpfen. Sie begann den Tag mit dem Entschluss, nicht abzunehmen, wenn er anrief, und seine E-Mails zu löschen.
Und dann wartete sie.
Ende August war Jac am Ende ihrer Kräfte. Mit gebrochenem
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