Das Haus der verlorenen Herzen
Don Adriano anrief, aufgescheucht von diesen Methoden, erfuhr man nur: »Haltet das Maul! Um der Maria willen, seid still! Kein Aufsehen! Wir kümmern uns darum …« Und dabei blieb es. Don Adriano gab nur die Erklärung heraus, daß er mit solchen Vorfällen nichts zu tun habe.
»Diese parfümierten Schwulen!« schrie Alfredo, als Oreto den ›kleinen Rat‹ in seinem Büro versammelte, um die Lage zu besprechen. »Wir hätten sie doch liquidieren sollen!«
»Sollen wir uns mit Don Eugenio anlegen?« fragte Oreto mit zerknittertem Gesicht. »Wir wollen zufrieden sein, wenn wir in ein paar Tagen wieder unsere schöne sardische Ruhe haben! Die Freunde in Sizilien haben ihre eigene Moral.«
Am späten Abend erreichte Gallezzo mit seinen Kumpanen den kleinen Ort Sorgono am Fuße des Gennargentu-Massivs. Ein Hinweis hatte sie dorthin gebracht: In der Bank von Oristano hatte jemand einhundert Deutsche Mark in Lire gewechselt, ein Mann, der sonst weder Lire, geschweige denn Deutsche Mark besaß. Man hätte auch nie darüber gesprochen, wenn nicht der Kassierer der Bank mit Don Adriano bekannt gewesen wäre. Denn dieser brave Mann übte nicht nur das biedere Bankgeschäft aus, er kontrollierte auch noch die drei Bordelle der Stadt, natürlich nicht auf eigene Rechnung. Die Gelder buchte er auf ein Konto, das Oreto gehörte. Sein Name war die Nummer 5 auf der Liste der zehn Namen, die Don Adriano gegeben hatte.
»Die hundert Mark haben mich gewundert«, sagte der Kassierer. »Meist kam er mit ›gefundenen‹ Euroschecks. Wir haben sie stillschweigend eingelöst. Man ist doch ein guter Freund! Ist ein bedauernswerter Kerl, der Luigi. Die ganze Familie weg … Vendetta, Sie verstehen. Wenn er jetzt wirklich den deutschen Arzt entführt haben sollte – na, das ist eben eine neue Art zu arbeiten. Jeder modernisiert sein Unternehmen, nicht wahr? Aber ich glaube es nicht. In das Geschäft muß Luigi erst noch hineinwachsen.«
»Ist er allein?« fragte Gallezzo freundlich.
»Nein. Sie sind zu dritt. Luigi, Ernesto und Anna. Geschwister. Die letzten Überlebenden von …«
»Schon gut!« Gallezzo winkte ab. »Wo finden wir sie?«
»Fragen Sie in Sorgono nach Luigi. Sie leben irgendwo in den Bergen.«
So kamen die Abgesandten des Doktors Soriano in das Bergnest Sorgono. Daß der Bankkassierer am Leben blieb, hatte er nur seinem Beruf zu verdanken: Er stand hinter einer Panzerglasscheibe, außerdem war die Kassenhalle der Bank voll Kundschaft, und vor der Tür stand ein Carabiniere. Das aber war rein zufällig. Immerhin sah Gallezzo ein, daß man diese Spur nicht auslöschen konnte.
In Sorgono gab es einen Supermarkt im kleinen: Vom Nagel bis zum offenen Rotwein, von der Eisenfeile bis zur gut ausgetrockneten Salami fand man alles in den verstaubten Regalen und Schubladen, was ein Mensch in dieser Einsamkeit braucht. Sogar ein Stapel blecherner Nachttöpfe grüßte den Eintretenden, aber sie waren Ladenhüter, eine Fehlspekulation von Ferruccio Stracia, dem Besitzer des Ladens. Seine Kundschaft lud Exkremente nicht in blechernen Töpfen ab. Die waren ihnen einfach zu schade dafür. Um so mehr freute Stracia sein Umsatz an Wein. Er hatte drei Holzfässer und verkaufte nur halbliterweise. Auf zwei Bänken vor Tischen mit Kunststoffplatten saß man gemütlich neben den Weinfässern. Diese Ecke in Stracias Lokal ersetzte Fernsehen und Radio; hier liefen alle neuen Meldungen zusammen.
Hier saß auch Luigi und gönnte sich ein Glas Wein. Er hatte die einhundert DM eingewechselt, hatte Speck, Fleisch und Butter gekauft, einen Sack voll Tomaten und zwei Ballonflaschen mit Wein. Anna hatte ihm auf einer langen Liste aufgeschrieben, was er noch alles holen sollte, denn der Gast mußte standesgemäß leben können. Luigi beschloß, erst seinen Wein zu trinken und dann Annas Liste mit Stracia durchzugehen. Er war sicher, daß der alles im Laden hatte, was man brauchte.
Es war gegen halb neun abends, als ein kleines, etwa siebenjähriges Mädchen in Stracias Laden kam und Luigi zuwinkte. »Du sollst 'rauskommen!« sagte es mit seiner hellen Kinderstimme. »Eine Überraschung!«
Luigi sah Stracia fragend an. Der hob die Schultern.
»Was ist los?« fragte Luigi laut. Das Mädchen trippelte zur Tür zurück und lachte verschämt.
»Eine Überraschung …«
»Verrückt!« Luigi stellte sein Glas auf den Tisch, faßte in die Tasche und überreichte Stracia fast hoheitsvoll Annas Zettel. »Stell das schon mal zusammen, Ferruccio«,
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