Das Haus der verlorenen Herzen
seine Beobachtungen verschließt. Vor allem, wenn man integriert ist …«
»Ich bin nicht integriert!« Was sollte denn das nun wieder heißen? Volkmar ging hinaus in seine große Privathalle. Worthlow folgte ihm, den Karton unterm Arm. »Und ich lasse mich auch künftig nicht integrieren, wie Sie das nennen, weder durch Maßanzüge noch durch Geld oder die schöne Loretta! Worthlow, wie kann ein Mädchen wie Loretta so etwas mitmachen?!«
»Miß Loretta ist ahnungslos.«
»Sie ist doch nicht blind!«
»Seit sie lebt, wird sie wie ein Engel behandelt. Ihre Welt war immer schön, rein und glücklich. Daß die Welt elend und gemein ist, hat sie nur einmal erfahren, in der Klosterschule. Da hat eine Mitschülerin zu ihr gesagt: ›Geh weg, du Mafia-Bastard!‹ Dr. Soriano blieb ganz ruhig. Er verlangte nur, daß der Vater des Mädchens sich für seine Tochter entschuldigte. Der Vater, Besitzer einer Marmeladenfabrik, tat das nicht. Er schrieb einen Brief: ›Ich freue mich über die Wahrheitsliebe meiner Tochter. Soll ich Wahrheit entschuldigen?‹«
»Und dann?« Volkmar ahnte es.
»Die Marmeladenfabrik brannte ab. Vollkommen. Keine Menschenverluste, es geschah in der Nacht. Sachverständige stellten als Ursache einen Kurzschluß fest. Der Vater des Mädchens kam einen Monat später zu Dr. Soriano und entschuldigte sich. Er bekam nirgendwo Geld oder einen Kredit, die Fabrik wieder aufzubauen. Dr. Soriano kaufte sie, aus reiner Wohltätigkeit. Der Vater des Mädchens hat Don Eugenio vor Glück weinend die Hände geküßt.«
»Und so etwas erwartet man nun auch von mir?« Dr. Volkmar schüttelte heftig den Kopf. »Bei mir gibt es Widerstand, Worthlow!«
»Ich würde mich nicht festlegen, Sir.« Worthlow blickte auf seine dicke Taschenuhr. »Wir müssen gehen, Sir.«
»Noch eine Frage, Worthlow: Was sind Sie? Butler oder Gefängniswärter?«
»Wenn Sie erlauben, Sir: Ihr Freund.«
»Von Freundschaft habe ich einen anderen Begriff.«
»Sie sind ja auch erst einen Tag hier, Sir.« Worthlow riß die geschnitzte, maurische Tür auf. »Die Herren warten mit Ungeduld auf Sie, Sir.«
Ungeduld war nicht der richtige Ausdruck. Fairerweise muß man sagen: Den Großen Rat plagte die Neugier. Dr. Soriano hatte bei seinen Einladungen, die grundsätzlich weder schriftlich noch telefonisch, sondern nur durch persönliche Kuriere überbracht wurden, den Komplex, der zur Sprache kommen sollte, nur angedeutet. Aber gerade das hatte Anlaß zu den abenteuerlichsten Spekulationen gegeben.
Die beruhigten sich ein wenig, als Dr. Pietro Nardo eine halbe Stunde vor Erscheinen Dr. Volkmars das Problem im groben erläuterte. Er verzichtete auf medizinische Details und Fachausdrücke, die ohnedies die wenigsten in dieser Runde verstanden, und beschränkte sich darauf, das Technische zu erklären. Das war etwas, was alle begriffen.
»Eugenio, du bist verrückt!« sagte der dicke Don Giacomo aus Catania. »Total verrückt! Ich hätte mich nicht gewundert, wenn du gesagt hättest: ›Wir errichten auf dem Petersplatz einen Puff!‹ Aber das hier? Liebe Freunde, ich bin ein Laie auf diesem Gebiet, aber wenn das möglich ist, gehe ich mit meiner Alten wieder ins Bett! Verdammt, ich handele lieber mit Zitronen als mit Utopien!«
»Ich glaube an den Erfolg, weil ich den Erfolg will!« sagte Dr. Soriano laut. »Mein Gast ist der beste Herzchirurg der Welt – er weiß es bloß noch nicht! Seine Mittel waren bisher beschränkt. Ich werde ihm neue Dimensionen der Medizin öffnen!«
»Das ist das erste Geschäft, das wir auf Pudding bauen sollen«, sagte Don Franco aus Messina. Er hatte sich einige Sätze aus Dr. Nardos Erklärungen notiert und überflog sie jetzt. »Alles nur Hypothesen. Theorien! Alles Phantasie. Märchen unter der OP-Lampe!«
»Hast du ein Herz, Franco?« fragte Soriano kalt.
»Na und?« rief der Mann aus Messina.
»Was würdest du bezahlen, wenn dieses Herz kaputtgeht und jeder Arzt zu dir sagt: Vorbei, Don Franco. Rettungslos verloren. Beten Sie, mein Lieber. Stiften Sie am besten noch eine Kirche. Und dann kommt jemand und sagt zu dir: Wieso vorbei? Sie haben ein kaputtes Herz, Don Franco? Ist das ein Problem? Ich setze Ihnen ein neues, frisches, gesundes, junges Herz ein. – Was wäre dir das wert?«
Don Franco starrte Dr. Soriano mit bebenden Wangen an. Er war fahl geworden, so sehr hatte ihn erschreckt, was Soriano ihm suggerierte.
»Alles, was ich habe«, sagte er heiser. »Madonna! Alles! Wenn man weiterleben
Weitere Kostenlose Bücher