Das Haus der verlorenen Herzen
es, wie Sie, zum erstenmal.« Das Lächeln ihrer blutroten Lippen war so unergründlich wie ihr Blick, der Volkmar streichelte. Sie waren jetzt nicht nur Liebende, sie waren Verschwörer, Komplizen. »Mein Vater liebt solche Scherze. Ein Löwe, zum Beispiel, heißt Jimmy, ein anderer Al Sacco. Nennt man so Löwen?! Aber Papa tut es! Warum sollen Sie in unserem Haus nicht Ettore Monteleone heißen? Sie bleiben doch der gleiche Mensch, nicht wahr?«
»Bestimmt!«
In dieser Frage lag viel, alles, was man sich sonst nicht sagen konnte, nicht jetzt vor den anderen. Sie beide verstanden es; Dr. Soriano jedoch überhörte es. Für ihn war es undenkbar, daß seine einzige Tochter, sein Himmel auf Erden, sich von ihm distanzierte.
Als Loretta und Soriano gegangen waren, kam Worthlow zurück, um aufzuräumen. Volkmar saß am Swimming-pool, trank noch einen Kognak und starrte in das von den Unterwasserscheinwerfern erleuchtete Becken. Es wurde jeden Tag mit Meerwasser gefüllt, das man über einen Filter ins Haus pumpte, mit Ozon bestrahlte und gleichzeitig auf 28 Grad erwärmte.
»Wissen Sie, Sir, wer Jimmy war?« fragte Worthlow und leerte die Aschenbecher in einen kleinen silbernen Kübel.
»Der Löwe?«
»Jimmy Delaggio aus Boston. Er kam nach Sizilien, um Don Eugenio im Auftrag der Familie von Boston zu liquidieren. Es schlug fehl, aber der Löwe, der ihn später fraß, heißt jetzt Jimmy.«
Volkmar zog den Kopf zwischen die Schultern. Von weitem, aus einem der verschachtelten Innenhöfe der Riesenvilla, hörte er das Grummeln der schläfrigen Löwen. In einer so stillen Nacht wie heute, wo selbst das Meer flüstert, vernahm man jedes Geräusch doppelt laut.
»Dann war Al Sacco auch ein – Futtermittel?« fragte Volkmar heiser.
»Al Sacco stammte aus der Gegend, wo Don Eugenio geboren wurde. Aus einem Nachbardorf. In den USA kam er nie nach oben und dachte, er könnte seine Kenntnisse gut verkaufen. Es ist Irrsinn, Sir, anzunehmen, jemand könne Don Eugenio aus der Ruhe bringen oder zu irgend etwas zwingen. Seitdem heißt der Löwe Al Sacco.«
»Wann wird es einen Löwen Ettore Monteleone oder Heinz Volkmar geben?«
»Nie, Sir.« Worthlow nahm Volkmar das leere Glas aus der Hand, so wie man ein zerbrechliches Spielzeug entfernt. »Don Eugenio stuft Lebensberechtigungen nach der Wichtigkeit der Personen ein. Sie stehen auf einsamer Höhe!«
»Um so tiefer ist der Sturz.« Volkmar holte das Kognakglas aus Worthlows Hand zurück und schenkte aus der vor ihm stehenden Flasche noch einmal ein. »Und von all dem soll Loretta nichts wissen?! Wirklich nichts?«
»Als die Dinge mit Jimmy, Al Sacco und andere Bereinigungen – nennen wir es so – stattfanden, lebte sie bei den frommen Schwestern im Klosterpensionat. Kam sie in den Ferien nach Hause, geschah nichts, was man vor ihr hätte verbergen müssen.«
»Aber jetzt, Worthlow – ich weiß, daß ich Ihnen vertrauen kann, sie hat es mir gesagt –, jetzt hört sich manches ganz anders an. Sie spielt das Goldpüppchen nur noch! Sie weiß genau, wo sie lebt! Und da sie alles begreift, friert sie in der Sonne – wie ich!« Er trank seinen Kognak mit einem Kippzug aus. »Können Sie sich vorstellen, Worthlow, was passiert, wenn Dr. Soriano erkennt, daß seine Tochter ihn durchschaut?«
»Nein, Sir. Das ist nicht ausdenkbar.«
»Wie kann ein Mann von solchem Intelligenzgrad wie Dr. Soriano so engstirnig sein zu glauben, seine Tochter werde immer das in Watte gepackte Hätschelkind bleiben! Das ist doch psychologisch gar nicht zu begreifen!«
»So geht es doch vielen Vätern, Sir. Sie als Arzt müßten das doch wissen. Warum schaffen dynamische Männer ganze Industrie-Imperien und sind doch blind für das, was in der eigenen Familie vor sich geht?«
»Weil sie irrtümlicherweise annehmen, daß sie der geheiligte Mittelpunkt der Familie sind, dem nur Verehrung und Bewunderung gebührt. Das berühmte Beispiel aus dem alten Rom!«
»Da haben Sie die Erklärung, Sir.«
»Aber Dr. Soriano ist Realist. Im wahrsten Sinne des Wortes: ›Blutiger Realist‹!«
»Das schließt partielle Blindheit nicht aus, Sir.«
Worthlow griff nach einem Glas, schenkte sich ebenfalls Kognak ein, deutete eine Verbeugung an, sagte: »Gestatten Sie, Sir!« und trank das Glas aus. Damit war eine Vertraulichkeit erreicht, die Volkmar als wohltuend und stärkend empfand.
»Vor meinem Eintritt bei Don Eugenio war ich drei Jahre Butler in der Britischen Botschaft in Moskau!« sagte Worthlow
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