Das Haus der verlorenen Herzen
gemacht hatte, damit sie Dr. Volkmar würdig aufbahren konnte.
Was im Polizeipräsidium nicht freudig vermerkt wurde, war die immer wiederkehrende Behauptung Angelas, sie könne sich das Ertrinken von Dr. Volkmar nicht erklären. Die Tatsachen waren zwingend: Man hatte den Toten geborgen, er trug die Badehose, hatte den Ring am Finger und das Gebiß würde auch stimmen – dessen war man sicher. Was wollte man also noch mehr an Beweisen? Fingerabdrücke von Dr. Volkmar gab es nicht – er hatte mit der Polizei noch nichts zu tun gehabt. Außerdem waren die Fingerkuppen durch Salzwasser und Abschabungen zerstört. Doch was nutzten alle diese Hinweise! Dr. Volkmar blieb im Geschäftsbereich der Mordkommission von Cagliari. Man war darüber sehr unglücklich, hatte nur vermehrte Arbeit, die man als sinnlos betrachtete, und grübelte darüber nach, wie man Dr. Angela Blüthgen erklären könne, daß niemand, aber auch wirklich niemand ein Interesse daran gehabt haben konnte, den lieben Feriengast aus Deutschland im Meer zu ersäufen. Jeder Mord hat ein Motiv, und wenn es die Rache eines Tierliebhabers ist, dem jemand seinen Hund überfahren hat – das war ein berühmter Fall in Cagliari gewesen! – Aber Dr. Volkmar hatte weder einen Hund bei sich gehabt, noch hatte es sich um Raubmord gehandelt, denn im Zelt fand man ja sein ganzes Reisegeld.
Ganz klar war der Obduktionsbefund: Tod durch Ertrinken. In seinen Lungen befand sich Wasser. Medizinisch gesehen gab es keine Rätsel mehr.
Angela Blüthgen war nicht zu überzeugen. Sie war nie eine gute Schwimmerin gewesen, auf keinen Fall war sie so versiert wie Dr. Volkmar, und sie hatte genau an der Stelle gebadet und war im Meer geschwommen, wo Dr. Volkmar ertrunken sein sollte. Es war fast unmöglich!
»Ein Schwächeanfall!« sagte der Staatsanwalt, der sich notgedrungen mit dem Fall befassen mußte.
»Nicht bei Dr. Volkmar!« sagte Angela stur.
»Jeder Mensch hat Schwächeanfälle! Auch ein so gesunder Mann wie der Dottore. Oder hatte er ein Herz aus Stahl?«
»Das bestimmt nicht …«, sagte Angela leise. »Nein!«
»Und auch keinen Kreislauf wie eine Kühlschlange. Vielleicht hat er Fisch gegessen, Calamaris, Muscheln, Garnelen, was weiß ich … und plötzlich wurde ihm schlecht. Gerade, als er im Meer schwamm.«
»Der Mageninhalt!«
»Signora, Sie wissen, daß der Körper …« Der Staatsanwalt suchte nach Worten, um auszudrücken, daß die Schiffsschraube den Leib so zerrissen hatte, daß man keine Eingeweide mehr gefunden hatte. Dr. Blüthgen nickte.
»Ich weiß …«
»Außerdem: wenn Dr. Volkmar ermordet wurde – sprechen wir es brutal aus, Signora –, haben wir zwar die Arbeit, den Mörder zu finden, aber er bleibt ja tot! Das kann man nun wirklich nicht mehr ändern! Die Art seines Todes sollte zweitrangig sein.«
»Für mich nicht. Ich will wissen, wer der Mörder ist!«
»Was haben Sie davon?«
»Ich weiß es nicht.« Sie saß auf dem harten Stuhl vor dem Schreibtisch des Staatsanwaltes und blickte ins Leere. Ja, was habe ich davon? Ich werde einen Mann oder mehrere Männer ansehen und wissen, daß sie Heinz getötet haben. Dann fahre ich wieder zurück nach München und muß damit fertig werden. Wie Millionen anderer Witwen. Denn ich fühle mich als seine Witwe, so absurd das ist nach dem ›nur biologischen Verhältnis‹, das wir miteinander hatten. Bleiben wird immer das Rätsel, das alle Hinterbliebenen mit sich herumtragen: Warum mußte das sein?! Es hat darauf noch nie eine befriedigende Antwort gegeben. Als Ärztin hatte sie hundertemal auf diese Fragen antworten müssen, und wenn sie dann gesagt hatte: »Ihr Mann hatte Krebs!« oder: »Ihre Frau war nicht mehr zu retten. Die Urämie war nicht aufzuhalten …«, dann folgte immer wieder die Gegenfrage: »Warum gerade sie? In diesem Alter?! Sie war doch immer ein so fröhlicher Mensch …«
Das ewige Rätsel um Leben und Sterben. Die große Angst, die schon mit der Geburt beginnt.
Während man in Cagliari auf das Gebißfoto wartete, blieben die mit der Polizei befreundeten Reporter nicht untätig. Eine Agentur verbreitete die Meldung von der Auffindung der Leiche, eine italienische Illustrierte interviewte Dr. Blüthgen in ihrem Hotelzimmer. Der Journalist verfuhr dabei raffiniert, stellte sich als Angestellter des Überführungsunternehmens vor, brachte einen Rosenstrauß zur Tröstung mit und quetschte in einem Gespräch so viel aus Angela heraus, daß es für einen schönen runden
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