Das Haus der verlorenen Herzen
Reisetasche und Brotbeutel zwischen ihre Knie und sagte: »Zur Villa Dr. Soriano auf Solunto.«
»Vorkasse!« antwortete der Fahrer und betrachtete sie im Rückspiegel. »Das kostet etwas.«
»Ich bin das neue Hausmädchen von Don Eugenio.«
»Trotzdem. Leg erst 1.000 Lire hin. Soviel kostet schon das Herumdrehen des Zündschlüssels.«
Anna holte aus dem Brotbeutel einen 1.000-Lire-Schein und warf ihn auf den Beifahrersitz. Der Chauffeur steckte den Schein ein, startete und fuhr nach Solunto. – Ob ich Enrico sofort sehe, dachte Anna. Was wird er sagen? Wie wird er sich benehmen? Es kommt darauf an, wer bei ihm ist. Natürlich muß er sich in der feinen Gesellschaft zurückhalten, aber es wird sich die Gelegenheit bieten, ihm zu sagen, wo ich in der Villa mein Zimmer haben werde. Und daß ich die Tür nicht abschließe.
Sie lehnte sich in die Polster zurück, hatte keinen Blick für die Schönheit Palermos, die an ihr vorbeizog, sondern dachte nur daran, wie es sein würde, wenn seine Hände zum erstenmal ihren nackten Leib streichelten.
Der festliche Abend auf dem Dachgarten klang natürlich nicht damit aus, daß Loretta – wie es Volkmar angedroht hatte – bei ihrem heimlich Geliebten blieb. Dafür sorgte schon Dr. Soriano, der gegen ein Uhr morgens sich aus seinem Sessel erhob, den letzten Champagnerschluck noch einmal dem chirurgischen Genie Volkmars widmete und dann ziemlich bestimmt zu seiner Tochter sagte: »Enrico ist müde. Kein Wunder nach diesem Tag. Wir sollten nicht warten, bis er vom Stuhl fällt. Dottore, dieses Datum wird man einmal in Gold meißeln.«
»In Ihrer Halle, Don Eugenio. Das glaube ich wohl. Ich schlage die Längswand rechts vom Eingang vor. Lassen Sie es wie ein Menetekel hinschreiben …« Auch Dr. Volkmar stand auf. Loretta lehnte sich an ihn, sie tat es ostentativ, um ihrem Vater zu zeigen, was sie für Volkmar fühlte. Der Aufstand einer braven Tochter. Die Revolution gegen das Patriarchat. Der Bruch mit der Tradition, wonach eine italienische Frau zu gehorchen hat.
Dr. Soriano übersah die Herausforderung. Er lächelte still. Ein Kind klammert sich an sein Spielzeug – so mochte er denken. In den Plänen, die er mit Dr. Volkmar auszuführen gedachte, hatten Liebe und Loretta keinen Platz. Und wenn es wirklich keinen Ausweg gab, dann war auch das hinzunehmen. Denn ein Schwiegersohn wird niemals seinen Schwiegervater vernichten, wenn er damit auch die angebetete Tochter zerstört. So oder so: Die noch im Bau befindliche ›Kinderklinik‹ in den Bergen von Camporeale, in der gesunden Luft von 430 Metern Höhe, wo sich die Kinder prächtig erholen konnten, hatte ihren Chefarzt! Ein halbes Jahr konnte Volkmar noch forschen. Dann würde das heimliche Herzzentrum eröffnet werden mit einer Transplantation nach der Methode Volkmar.
Die vollkommene Volkmarsche Homoioplastik.
Sie würde ein neuer Begriff in der medizinischen Welt werden – und keiner würde sie kennen – nur das kleine Team einer feudalen ›Kinderklinik‹ in den Bergen von Camporeale.
»Es war schön«, sagte Loretta, als sie, bei Volkmar untergehakt, vom Dachgarten ins Haus ging und durch die Halle schritt. Worthlow eilte voraus, Dr. Soriano hinter ihnen, um alle im Auge zu behalten. »Wir sollten jeden Abend so essen?«
»Ein guter Gedanke, aber eben nur ein Gedanke.« Dr. Soriano schob sich zwischen Volkmar und seine Tochter, so daß sie ihre Hand aus Volkmars Armbeuge nehmen mußte. »Ich bin gar nicht dazu gekommen, Ihnen unseren Terminkalender zu erklären, Dottore. Wir sind – wie man so schön sagt – für siebzehn Tage ausgebucht. Das heißt: Mit dem Dinner. Jeden Abend Gäste, denen Sie vorgestellt werden sollen.«
Volkmar blieb verwirrt stehen. »Ihrer Gesellschaft etwa? Ich denke, meine Anwesenheit ist so etwas wie ›top secret‹?«
»Man kann Genies nicht geheimhalten, Enrico. Freilich ist Ihr so deutscher Name Heinz Volkmar für uns Italiener ein Zungenbrecher. Sie heißen in Ihrer neuen Existenz Dr. Ettore Monteleone. Ist das nicht ein schöner Name, den ich Ihnen ausgesucht habe? Dr. Monteleone! Klingt wie eine Figur aus Verdis ›Macht des Schicksals‹!«
Volkmar lächelte verzerrt. »Ich werde mich anstrengen müssen, mit Ihrem Sarkasmus mitzuhalten.« Er wandte sich an Loretta, die über ihr wundervolles Haar einen pfirsichfarbenen Seidenschleier gelegt hatte. »Es ist also Schluß mit Enrico …«
»Auch Ettore ist ein schöner Name.«
»Sie wußten das schon?«
»Ich höre
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