Das Haus der verlorenen Herzen
ergeht Ihnen nur wie vielen Vätern: Sie haben ein völlig falsches Bild von Ihrer Tochter.«
»Habe ich das wirklich?«
»Ja!« sagte Loretta laut. »Ich weiß alles! Der falsche Tote an Stelle Enricos, der Plan, mit Herzen Geld zu verdienen, die wirkliche Quelle unseres Reichtums, die nicht in deinem Anwaltsbüro sprudelt! Don Eugenio, das Oberhaupt der …«
»Es genügt!« unterbrach sie Soriano hart. Er setzte sich auf das weiße Eisenbett und blickte seine Tochter in die wütenden Augen. Madonna, dachte er dabei, wie habe ich mich immer davor gefürchtet. Ich habe gebetet, daß ich es nie nötig haben würde, und habe doch gewußt, daß man nicht entrinnen kann. Ist das jetzt die Stunde der Rechenschaft? Deine Mutter, mein Kind, hat alles gewußt, und sie hat geschwiegen, war eine liebe Ehefrau, eine Mama, wie sie sein soll, gläubig und demütig, häuslich und voll Bewunderung für ihren Ehemann. Sie repräsentierte auf Partys und Empfängen, trug Schmuck in Millionenwerten, aber sie fragte nie, wie man das Geld verdient hat. Für sie war ich nur der Mann, den sie liebte und dem sie dich, Loretta, geboren hatte. Alles andere nahm sie nicht wahr. Warum mußt jetzt du fragen? Einmal gehört doch alles dir …
»Wir leben nach strengen Gesetzen«, sagte er. Seine Stimme klang etwas gepreßt. Als Dr. Volkmar sarkastisch lachte, blickte er ihn mißbilligend an.
»Das muß ein Gesetzloser sagen!« warf Volkmar ein.
»Die Gesetze der ›Familie‹ sind hart. Das werden Sie hoffentlich nie zu spüren bekommen, Dottore! Man kann eine Frau lieben, seinen Vater, seine Mutter, seinen Sohn, seine Tochter, einen Freund. Wenn es sich aber als notwendig erweist, wird verlangt, das alles zu vergessen. – Ist das klar ausgedrückt?«
»Nein.« Dr. Volkmar starrte Dr. Soriano an. Das ist nicht möglich, durchfuhr es ihn. Dieser Vater, für den seine einzige Tochter ein Heiligtum ist, könnte dieses Heiligtum zerstören, wenn es die Mafia verlangt? Undenkbar so etwas. Unfaßbar!
»Sie gehören jetzt fest zur Familie, Dottore«, sagte Soriano. »Es gibt kein Entrinnen mehr, auch wenn Sie jemals die Gelegenheit finden würden auszubrechen. Sie brächten nur unermeßliches Leid über Loretta – und mich! Ich weiß, mir gönnen Sie es. Aber Loretta können wir nicht ausklammern. Das ist das Geheimnis unserer Disziplin: Das Wissen, daß wir alle eine große Familie sind und alles gemeinsam tragen müssen.«
»In Wirklichkeit ist es eine unmenschliche Drohung!«
»So sehen Sie es, Enrico.« Soriano erhob sich von dem Eisenbett und trat an Loretta heran. Sie zog die Schultern hoch, als wehe von ihrem Vater ein eisiger Hauch über sie hinweg. Ihre Augen verengten sich etwas.
»Ich liebe ihn!« sagte sie laut. »Alles, was mit ihm geschieht, tut man auch an mir!«
»So ist es!« Soriano ging an seiner Tochter vorbei und blickte aus dem vergitterten Fenster. Unter ihm lag dunkel der Garten des Altersheimes, nur durch ein paar Laternen schwach beleuchtet. Wege zwischen Blumenbeeten, Bänke an Hecken, eine Liegewiese, ein Musikpavillon, ein kleines Freilichttheater. Das schönste Altersheim Europas, hatte man Soriano bestätigt. Nirgendwo wurde für die Alten soviel getan wie hier bei Palermo. Das gleiche würde man bald von dem neuen Kinderheim bei Camporeale sagen. Ein Erholungsparadies. Was in den Kellern geschah, blieb das Geheimnis der ›großen Familie‹. »Ihr werdet morgen wieder nach Solunto zurückkommen«, sagte Soriano. »Sie werden sich frei bewegen können, Dottore.«
»Auf einmal?«
»Alles, was Sie tun, ist zum Nutzen oder zum Schaden von Loretta.«
»Und wenn ich ihm helfe, alles das zu tun, was er will?« rief sie mit heller Stimme.
»Das wäre dumm.« Soriano drehte sich um und blickte seine wütende Tochter lange an. Etwas unendlich Trauriges, ja Hoffnungsloses lag in seinem Blick. »Das wäre sehr dumm. Und fürchterlich …«
Am nächsten Morgen kehrten Loretta und Dr. Volkmar in die Villa am Meer zurück. Zwei Autos mit schwerbewaffneten Männern begleiteten sie. Eins fuhr voraus, das andere dicht dahinter. Eine Eskorte, die keiner Überraschung ausgesetzt war. Wer sich über Loretta an Dr. Soriano rächen wollte, hatte keine Chance.
Im Gästehaus II war alles wieder so, wie es vordem gewesen war. Worthlow erwartete die Rückkehrer mit einem speziell gemixten erfrischenden Drink. Die Wohnung glich einer Blumenhandlung, überall standen große Vasen mit den herrlichsten Sträußen. In einem
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