Das Haus der verlorenen Herzen
genommen.«
Aber später, als Brocca und Soriano allein waren, hielt der Staatsanwalt nicht mit seiner Sorge zurück. »Wer will dir ans Leder?« fragte er. »Erst Gallezzo, jetzt unmittelbar du selbst! Wie sind deine Kontakte zu den USA?«
»Normal. Zwischen uns liegt der große Teich. Der Markt ist genau aufgeteilt. Es gibt keine Schwierigkeiten.«
»Und wenn sich einer der Großen absetzen muß und Sizilien als neue Heimat aufbauen will? Dann stehst allein du ihm im Weg!«
»Das war ein Gedanke, den ich bereits einkalkuliert habe.« Soriano blickte nachdenklich gegen die holzgetäfelte Wand des reichlich prunkvoll ausgestatteten Dienstzimmers. »Betrachten wir die Ereignisse des heutigen Tages auch unter diesem Aspekt: Man muß warnen können! Und das ist eine Warnung an alle, die sich über Sizilien Illusionen machen sollten.«
Am Nachmittag – Soriano hatte trotz aller Freundschaftsbeteuerungen darauf bestanden – besichtigten alle maßgebenden Männer Palermos die Villa bei Solunto. Worthlow hatte ein riesiges kaltes Buffet aufgebaut, eine große Gartenbar und einen ebenso großen Grill. Über dem Holzkohlenfeuer drehte sich am Spieß ein ganzes Ferkel.
Die Löwen und die Krokodile waren vorher mit der doppelten Ration gefüttert worden. Träge und schläfrig lagen die Raubkatzen in ihren Käfigen; die hornigen Reptilien sonnten sich auf ihrer Schlamminsel mitten im künstlichen See. Das friedliche Bild eines kleinen Privatzoos, Spielereien eines tierliebenden Reichen, der nicht mehr weiß, wie er sein Geld ausgeben soll.
Einige der Herren sahen zum erstenmal hinter die Mauern der Villa und waren wie geblendet von der Schönheit dieses Besitzes. Sie durchwanderten die orientalischen Räume, bestaunten den Park, neckten die satten Löwen durch Pfeifen und Rufen, ließen sich die Lebensgewohnheiten der Krokodile erklären und bestätigten nach der Besichtigung, daß die Tonbänder ein Witz seien, allerdings ein schlechter. Dann trank und aß man und fuhr nach Palermo zurück, in der Gewißheit, einen selten schönen Nachmittag erlebt zu haben.
Das Ansehen Dr. Sorianos hatte noch gewonnen. Nur einer der Chefredakteure sagte zu Staatsanwalt Dr. Brocca: »Bringt eine Anwaltspraxis so viel ein?«
»Man kann mit Geld allerlei anfangen«, antwortete Dr. Brocca kühl. »Aktienspekulationen, zinsgünstige Anlagen, Börsengeschäfte … Das wissen Sie doch! Dr. Soriano hat eben eine glückliche Hand!«
Die hatte er, ganz gewiß. Am späten Nachmittag, als die letzten Gäste die Villa bei Solunto verließen, ›verunglückte‹ der neunzehnte Mann auf Sorianos Liste. Der D-Zug Palermo-Messina trennte ihm den Kopf vom Rumpf. Wie der Mann auf die Schienen geraten war, fragte keiner, vor allem Dr. Brocca nicht. Man muß auf Sizilien mit Merkwürdigkeiten leben, dazu gehört eben auch, daß ein Fabrikant wie Fabricio Frosolone sich auf Eisenbahnschienen schlafen legt.
Worthlow, in seiner weißen Prunkuniform, begann mit dem Abbau der Buffets, nachdem der letzte Gast gefahren war. Sechs Diener in Dinnerjacketts halfen ihm. Soriano stand sinnend am Rand des großen Swimming-pools und fragte sich zum wiederholten Male, wieso die Ruhe Siziliens so plötzlich gestört werden konnte. Bis zum Mittag hatte er die Anrufe der anderen Familien empfangen: Ob Messina oder Catania, Siracusa oder Ragusa, Trapani oder Caltanisetta – jeder Familienchef beteuerte seine Treue, hatte nichts gehört von amerikanischen Infiltrationen, versprach, nach allen Seiten wachsam und mißtrauisch zu sein. Mehr konnte man nicht tun. Der gesamte Sizilien-Clan war in Alarmbereitschaft.
Worthlow hatte an diesem Abend eine kurze Unterredung mit Anna, der hübschen Zofe von Loretta.
Nach ihrem freien Tag war sie pünktlich nach Solunto zurückgekommen, müde, mit stumpfen Augen, irgendwie gestört. Sie duschte sich wieder heiß und kalt, aber was gewesen war, konnte sie nun nicht mehr abspülen. Sie spürte noch die Hände des fremden Mannes an ihrem Körper, seine Lippen, die über ihren nackten Leib gewandert waren bis zu den intimsten Stellen, und der Schmerz zwischen ihren Schenkeln brannte wie unauslöschbar. Sie hatte aufgeschrien, hatte gegen die Zimmerdecke gestarrt und nur noch »Enrico! Enrico!« gedacht, während der junge Maler irre Worte stammelnd und ihre Brüste küssend in sie eindrang.
Später saß sie nackt in dem kleinen Dachzimmer, trank billigen roten Wein und knabberte an ein paar Keksen. Jetzt müssen sie die Tonbänder
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