Das Haus der verlorenen Herzen
schweren silbernen Bilderrahmen steckte die Vergrößerung eines Fotos. Volkmar konnte es nicht übersehen.
»Sie wird heute aufgebaut, Sir!« sagte Worthlow in seiner steifen englischen Art.
Volkmar starrte auf das Foto. »So etwas von Herz-Lungen-Maschine habe ich noch nicht gesehen!«
»Es ist das modernste Modell aus den USA, Sir. Für Sie eigens herübergeflogen. Auch die elektronischen Meßinstrumente und die nuklearmedizinischen Apparate kommen aus Amerika. Heute morgen fliegen sechs Ihrer Ärzte nach Texas, um sich mit den neuen Instrumenten vertraut zu machen und sich anlernen zu lassen. Am 1. Dezember – zur Eröffnung des Kinderheimes – sind sie wieder zurück.«
»Das Datum steht also endgültig fest?«
»Jetzt ja.«
»Uns bleiben noch drei Monate«, sagte Volkmar später zu Loretta. »Das ist eine verhältnismäßig lange Zeit, um alles vorzubereiten. Wir können nur einmal flüchten. Mißlingt das, werden wir nie mehr eine Chance haben!«
Sie hatten schon jetzt keine Chance.
Jeden Tag wurde Dr. Volkmar mit einem Begleitkommando zum Altersheim gebracht und wieder abgeholt, wenn er anrufen ließ, daß seine Arbeit beendet sei.
Seine Arbeit: Herzverpflanzungen an Hunden und Schweinen, immer neue Versuchsketten mit Corticosteroiden, ACTH und Antihistaminika, um die Immunreaktion zu unterdrücken. Ein Laborteam hatte Versuche mit Zytostatika begonnen, also chemischen Präparaten zur Krebsbekämpfung und Tumorzerstörung. Eine dritte Gruppe arbeitete mit Antimetaboliten, chemischen Verbindungen, die den Stoffwechsel blockieren oder verändern können.
Die Erfolge zeigten sich nach zwei Monaten: Zum ersten Mal überlebte ein Hund mit einem neuen Herzen länger als drei Wochen. Und auch dann starb er nicht an einer Immunreaktion, sondern durch einen Unglücksfall. Der Schimpanse Boco, bisher nur für medikamentöse Experimente mißbraucht, besuchte in der Nacht den operierten Hund, spielte mit ihm und drückte ihm dabei so hart auf den Brustkorb, daß die inneren Nähte einrissen. Er verblutete. Es war die Schuld des Tierwärters, der vergessen hatte, Bocos Käfig mit einem Schloß zu sichern, und nur den Riegel vorgeschoben hatte. Für den intelligenten Boco war es eine Freude gewesen, den Riegel wieder wegzuschieben und dann im Tierhaus herumzuspazieren.
Das Kinderheim bei Camporeale in den Bergen war vollendet. Auch die unterirdische Klinik war bis auf Kleinigkeiten eingerichtet und betriebsbereit. Ein paarmal besichtigte Dr. Volkmar seinen ›Tatort‹, wie er es nannte, immer begleitet von vier bewaffneten Männern oder von Dr. Soriano selbst. Außerdem war auch immer Dr. Nardo dabei, oder andere Ärzte erwarteten ihn in den drei OPs, den Labors, den technischen Räumen oder den später völlig sterilen Krankenzimmern.
Dr. Volkmar hatte nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Die technisch vollkommenste Klinik entstand hier in völliger Anonymität. Mit solchen Möglichkeiten arbeiten zu dürfen, war der Traum jedes Chirurgen. Unerfüllbare Wünsche, vor allem in Deutschland, wo die Krankenhäuser überaltert und überlastet waren, die Kranken auf den Gängen lagen, die Labors in Kellerecken arbeiteten und die Sterbenden noch immer in die Badezimmer gerollt wurden, abgestellt zum letzten Atemzug. Hier aber wurde eine Klinik eingerichtet, bei der Geldsummen keine Rolle spielten. Für zehn Betten – mehr sah auch Dr. Soriano als unrealistisch an – der Aufwand einer chirurgischen Universitätsklinik! Und mehr als das: Ein perfektioniert durchkonstruiertes System, von der Voruntersuchung bis zur Intensivstation nach erfolgter Operation, das eine reibungslose Herztransplantation gewährleistete.
Neue Herzen gewissermaßen am Fließband … Eine Wahnsinns-Vision, die Dr. Soriano in die Realität hob.
Der 1. Dezember 1967 war ein milder, sonniger Tag mit einem lichtblauen Himmel, einem dieser sizilianischen Himmel, von denen Soriano sagte: Sie sind aus Samt.
In dem Dorf Camporeale wehten aus allen Fenstern Fahnen oder hingen, wie bei der Fronleichnamsprozession, Teppiche und gestickte Tücher an den Hauswänden. Madonnenfiguren, Kruzifixe, ernst blickende Heilige aus buntbemaltem Gips standen auf den Fensterbänken, in den Türen, auf der Straße. Vom Eingang des Dorfes bis zur Kirche war die einzige feste Straße mit einem bunten Blumenteppich belegt. Der Pfarrer von Camporeale, Don Caesare, rannte wie ein aufgescheuchter Riesenvogel herum, ließ die Glocke probeläuten, hörte dem Kinderchor noch
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