Das Haus des Buecherdiebs
den amerikanischen Sittenwächtern und den englischen Druckern konnten umgangen werden, indem man die Herstellung der amerikanischen und der englischen Ausgabe kurzerhand nach Paris verlegte. Was jedoch nach wie vor fehlte, war Kapital. Joyce war bettelarm und Sylvia Beach keineswegs reich. Oft musste sie die Kasse ihres Buchladens plündern, um ihrem Autor »Vorschüsse« zahlen zu können. Eine Zeitlang schien es, als würden alle zusammen bankrottgehen und als müsste der Plan, den bedeutenden Roman endlich zu veröffentlichen, endgültig begraben werden. Das Unternehmen stand am Rande des Zusammenbruchs, als Joyce freudestrahlend in Beachs Buchladen erschien und verkündete, Miss Weaver habe ihm eine Geldsumme geschickt, die ihm für den Rest seines Lebens ein Einkommen sichere. »Es war eine Summe«, erinnerte sich Sylvia Beach später, »von der ein anderer den Rest seiner |81| Tage hätte leben können. Nicht aber Joyce. Es dauerte nicht lange, und er steckte wieder in Geldsorgen, und wieder kam Miss Weaver zu Hilfe. Aber wir hatten immerhin einen Augenblick lang eine Atempause.«
Die ersten Exemplare des »Ulysses« wurden rechtzeitig zu Joyces Geburtstag am 2. Februar 1922 fertig. Kurz darauf bot Harriet Weaver an, eine zweite Auflage von zweitausend Exemplaren auf ihre Kosten unter der Verlagssigle der Egoist Press zu drucken. Ein Teil der Auflage wurde mit dem Schiff nach Dover verfrachtet, wo die Bücher prompt beschlagnahmt und »in des Königs Kamin verheizt« wurden. Den Bänden, die nach Amerika gelangten, erging es nicht viel besser. Doch da das Buch nun einmal erschienen war und der Skandal, den einige Moralapostel daraus machten, für enormes Interesse sorgte, war seine weitere Verbreitung nicht mehr aufzuhalten. Shakespeare & Company verschickte den »Ulysses« bald in die ganze Welt – maskiert und verkleidet, mit falschen, unverdächtigen Umschlägen wie »Heitere Geschichten für kleine Leute«.
Harriet Weaver unterstützte James Joyce den Rest seines Lebens und darüber hinaus, denn sie bezahlte sogar sein Begräbnis. »Ihre Wohltätigkeit machte ihn nicht reich«, schrieb der Joyce-Biograph Richard Ellmann, »keine noch so große Geldmenge hätte das vermocht, aber sie machte es ihm möglich, nur durch entschlossene Verschwendungssucht arm zu sein.«
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|82| Bücherapotheken
Schriftsteller sind nicht die Ärzte. Sie sind der Schmerz.
Alexander Herzen
Die Bibliophilie wird von Menschen, die keine Leidenschaft für Bücher empfinden, nicht selten für eine Krankheit gehalten. Für jene, die unter dieser Krankheit leiden, sind Bücher die Medizin, das beste Heilmittel gegen alle erdenklichen Sorgen, Leiden und Gebrechen.
Ursprünge dieses Gedankens finden sich bereits in der Antike, aber auch im 16. Jahrhundert übten derlei Überlegungen einigen Einfluss aus; etwa auf ein Buch des Lordkanzlers der Königin Elisabeth I. von England, Francis Bacon. Dessen lehrreiche »Essays« behandeln sämtliche Fragen des menschlichen Lebens. Der weltgewandte Autor schreibt knapp und pointiert über Liebe und Tod, Glück und Unglück, Jugend und Alter, er gibt nützliche Ratschläge und regt dennoch stets zum selbständigen Denken an. Fragte man Bacon, wie man lesen solle, würde er antworten: »Lies nicht mit Widerspruchsgeist und Besserwissen, aber auch nicht, um alles gläubig hinzunehmen noch um Unterhaltungs- und Gesprächsstoff zu finden, sondern um zu prüfen und nachzudenken.« Auf die Frage, was man lesen solle, pflegte er ausweichend zu antworten, ohne einzelne |83| Titel zu nennen: »Geschichte macht weise, Poesie geistreich, Mathematik scharfsinnig, Naturwissenschaft gründlich, Sittenlehre ernst, Logik und Rhetorik fähig zu disputieren. Studien bilden den Charakter, sagt Ovid. Ja, es gibt keine Unvollkommenheit des Geistes, der nicht durch geeignete Studien abgeholfen werden könnte, gleichwie körperliche Schwächen durch angemessene Leibesübungen behoben werden.«
Folgt man Bacons Worten, erscheint es ebenso sinnvoll, auch den Verstimmungen des Herzens, den Untiefen der Seele und schließlich sogar den »körperlichen Schwächen« mit der jeweils passenden Lektüre zu Leibe zu rücken. Man kann Bücher lesen, um sich zu bilden, um Langeweile, Schlaflosigkeit und Nervosität zu bekämpfen, aber warum sollte man sie nicht auch als Appetitanreger, Abführmittel, Kopfschmerztablette und Seelentröster nutzen? Es spricht einiges dafür, dass man unter ihnen die passenden Helfer,
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