Das Haus des Buecherdiebs
ein Anwaltsbüro regelmäßig hilfreiche Spenden zukommen ließ. Ständig peinigte er seine Freunde und Bekannten mit der Frage, ob sie nicht wüssten, wer dieser geheimnisvolle Geldgeber sei. Im Sommer 1919 ersuchte er die Anwälte um nähere Informationen: »Es erübrigt sich zu sagen, daß ich mich oft gefragt habe, besonders in den letzten paar Wochen, wer mein Gönner oder meine Gönnerin sein könnte und welchem Umstand ich diese feinfühlige und schöne Gunst verdanke, welcher Qualität oder Tendenz meines Schreibens. Ich konnte die Antwort auf die erste Frage nicht finden, denn |78| obschon die Wahrscheinlichkeiten eher in eine bestimmte als in eine andere Richtung zeigen, sind sie nicht unfehlbare Wegweiser in einer Angelegenheit, die unwahrscheinlich wäre, wäre sie nicht Tatsache.« Die Antwort der Kanzlei fiel beinahe ebenso kryptisch aus: »Die Eigenschaften, die sie am meisten an Ihren Schriften interessieren, sind, kurz gesagt, Ihr bohrender, suchender Geist, Ihre versehrende Wahrheit, die aufrüttelnde Eindringlichkeit und Kraft Ihrer intensiven Augenblicke der Imagination.« Um weitere peinliche Nachforschungen zu vermeiden, gab sich Harriet Weaver schließlich zu erkennen. »Ich fürchte, Sie werden all Ihre Worte über Feinfühligkeit und Zurückhaltung zurücknehmen müssen«, schrieb sie ihrem Schützling. »Ich kann Sie nur bitten, meinen Mangel an beiden Qualitäten zu verzeihen.«
Harriet Weaver verfolgte unerschütterlich ihren Plan, James Joyce zu der Anerkennung zu verhelfen, die er ihrer Meinung nach mehr verdiente als jeder andere Schriftsteller seiner Zeit. 1919 begann sie mit der Veröffentlichung des »Ulysses« in ihrer Zeitschrift »The Egoist«, doch nach fünf Fortsetzungen häuften sich die Schwierigkeiten: Sollte der Text von den englischen Behörden wegen Obszönität beanstandet werden, würden die Drucker ebenso strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden wie der Verleger. Aus diesem Grund war bald niemand mehr bereit, Miss Weavers Druckaufträge anzunehmen. Außerdem erhielt sie immer öfter Briefe von Abonnenten, die klagten, der »Ulysses« eigne sich nicht für eine Zeitschrift, die zusammen mit unbedenklichem |79| Lesestoff für die ganze Familie in den bürgerlichen Wohnzimmern ausliege. Doch Sankt Harriet gab sich keineswegs geschlagen. Sie gab die Zeitschrift auf und verwandelte »The Egoist« quasi über Nacht in einen Verlag, der sich allein der Veröffentlichung des Werks von Joyce widmen sollte. Den Abdruck der weiteren Fortsetzungen sollte zunächst die amerikanische »Little Review« übernehmen.
Der neue Anlauf brachte neue Probleme. Die gesamte Auflage der »Little Review« wurde dreimal vom United States Post Office wegen der Verbreitung obszöner Schriften beschlagnahmt. Die nächste Ausgabe ließ die »New Yorker Gesellschaft zur Unterdrückung des Lasters« konfiszieren – der Fall endete vor Gericht. Die »New York Times« schrieb am nächsten Tag, das wichtigste Argument des stellvertretenden Staatsanwalts gegen den Roman sei gewesen, dass er »sich zu freizügig über weibliche Kleidungsstücke äußert«. Die Geldstrafe für die Verbreitung von derart verderblicher Pornographie fiel zwar relativ gering aus, doch das kleine Literaturmagazin war durch die wiederholten Indizierungen bereits rettungslos ruiniert.
Harriet Weaver kämpfte unverdrossen weiter, auch wenn die Lage immer wieder hoffnungslos schien. Nach dem Gerichtsurteil gegen die »Little Review« wollte kein amerikanischer Verlag den Roman anrühren. Er hätte in England erscheinen können, doch auch dort wollten die Drucker mit dem Buch nichts zu tun haben. Joyce, der mittlerweile nach Paris umgezogen war, klagte der Buchhändlerin Sylvia Beach sein Leid. Jahrelang hatte er am |80| »Ulysses« gearbeitet, kärglich von Privatunterricht und den Zuwendungen der Freunde gelebt, und nun sah es so aus, als würde sein Buch nie erscheinen. Sylvia Beach beriet sich mit ihrer Freundin Adrienne Monnier, die unter dem Namen ihrer Buchhandlung bereits Texte von Paul Claudel, Paul Valéry und die Zeitschrift »Les Cahiers des Amis des Livres« herausgebracht hatte. Schließlich bot sie Joyce an, »Ulysses« über ihren kleinen Buchladen Shakespeare & Company in der Rue de l’Odéon zu veröffentlichen. Der Schriftsteller war von der Idee begeistert und informierte sofort Harriet Weaver, die dem Plan freudig zustimmte und sofort einen Vertrag für die englische Ausgabe beilegte. Die Probleme mit
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