Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
Vom Netzwerk:
Freunde und Begleiter für jede Lebenslage finden kann.
    Edward Bulwer-Lytton, Verfasser zahlreicher viktorianischer Gesellschaftsromane, unter denen besonders der fabelhafte »Kenelm Chillingly« hervorgehoben sei, hatte vor rund 150 Jahren eine ähnliche Idee und meinte, eine »Genesungsbibliothek« zusammenstellen zu können, deren Abteilungen nicht länger nach Kategorien wie Poesie, Naturwissenschaften oder Juristerei geordnet sein sollten, sondern nach geistigen Verstimmungen und körperlichen Gebrechen – vom Stechen der Gicht über einen Anfall von Schwermut bis zur leichten Erkältung. Unter diesen Sammelbegriffen sollten dann |84| jene Bücher eingeordnet werden, die sich als Heil- und Gegenmittel besonders gut eigneten. In der Bücherapotheke sollte man literarische Therapien gegen jede Art von Unpässlichkeit finden. Bulwer-Lytton riet bei Schnupfen zu leichter Lektüre. Biographien – insbesondere jene über anständige, ehrwürdige Persönlichkeiten – wirkten vorzüglich gegen seelischen Kummer, und Leser, die sich innerlich leer und nutzlos fühlten, sollten frommen Sinnes zur Bibel greifen. Habe man ein Vermögen verloren, könne man sich an geschmackvollen und belebenden Werken ergötzen, und da die besten Dichter eher das Hirn als das Herz beschäftigen, seien diese die wirksamste Medizin bei Gemütserkrankungen. Ein Hypochonder könne, so Bulwer-Lytton, durch die Lektüre klassischer Reiseberichte von seinen eingebildeten Krankheiten befreit werden, da sie ihn davon abhielten, in einer unveränderlichen und langweiligen Umgebung unablässig über die eigene Situation zu grübeln. Wahllose Lektüre, ohne vorherige wissenschaftliche Beratung, sei hingegen wirkungslos, ja sogar gefährlich. Bei Depressionen einen beliebigen Schmöker aus dem Regal zu nehmen, sei völlig sinnlos: »Man könnte ebenso gut Pest mit Rosenwasser behandeln.«
    Doch sollte die Heilkraft von Lesestoffen keinesfalls überbewertet werden. Schon Plinius der Ältere bemerkte, es gäbe kein Leiden, das Bücher nicht lindern könnten, doch nur Scharlatane und Quacksalber würden sie als Medizin bezeichnen, die über jede Unbill zu triumphieren vermag. So muss Des Esseintes, der dekadente Held aus Joris-Karl Huysmans’ Roman »Gegen den |85| Strich«, feststellen, dass Bücher mitunter eine höchst eigenwillige Wirkung haben, die man nicht von ihnen erwartet. »Um sich auf andere Gedanken zu bringen, versuchte er, besänftigende Bücher zu lesen; er vertiefte sich, um sein Gehirn abzukühlen, in die Nachtschattengewächse der Kunst und las die reizenden Bücher für Genesende und Gebrechliche, die tödlichere oder giftigere Werke ermüden würden: die Romane von Charles Dickens.« Der Dandy liest von keuschen Verliebten, tugendhaften und zugeknöpften Heldinnen, die sich damit begnügen, die Augen zu senken, zu erröten oder vor Glück zu weinen, und dabei fromm die Hände falten: »Diese übertriebene Reinheit führte ihn in die entgegengesetzte Richtung: die Ausschweifung. Er fiel von einem Extrem ins andere, er erinnerte sich an erregende Szenen, dachte an Liebesspiele von Mann und Weib, an Mischküsse und Taubenküsse, wie die Scham der Geistlichen jene Küsse bezeichnet, die zwischen die Lippen dringen.« Des Esseintes unterbricht die Lektüre, vergisst die Prüderie Englands, grübelt abermals über »lockere Sünden und aufstachelnde Künste, die die Kirche verbietet«, und wird von der Erregung und Nervenzerrüttung übermannt, die er mit Dickens zu überwinden versucht hatte.
    Was lehrt uns das Schicksal von Huysmans’ Helden? Vermutlich, dass die Literatur ihre eigenen, oftmals unbestimmbaren und unvorhersehbaren Wirkungsgesetze hat. Ein Gedicht von William Butler Yeats kann demnach, je nach Konstitution des liebeskranken Lesepatienten, aufmunternd oder tödlich wirken. Pessoas »Buch |86| der Unruhe« kann einem Depressiven schweren Schaden zufügen oder ihn das Licht der Sonne wieder spüren lassen. Bevor man also Bücherrezepte ausstellt, muss man daran denken, dass jeder Leser anders ist und anders liest. So ist die folgende kleine Bücherapotheke mit Vorsicht zu genießen. Sie sagt mehr über die Vorlieben derjenigen aus, die uns den Rat erteilen, als darüber, wann wir welche Bücher lesen sollten.

    Magenverstimmung:
    Der britische Essayist William Hazlitt empfahl bei einem verdorbenen Magen den umfangreichen Entwicklungs- und Schelmenroman »Tom Jones« von Henry Fielding.

    Zahnschmerzen:
    Robert Louis

Weitere Kostenlose Bücher