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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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sich in zahlreichen Berufen versucht, in Stuttgart eine Buchhändlerlehre begonnen, in Graz ein Jurastudium angefangen und in Wien ein Medizinstudium abgebrochen, als er plötzlich ein leidenschaftliches Interesse an der Physiologie der Pflanzen entdeckte, das auch nicht lange anhielt. Er war bereits Mitte zwanzig, als ein Arzt, den die besorgten Eltern konsultiert hatten, ihm bescheinigte, dass er wegen einer »Überempfindlichkeit des Nervensystems« keinen ordentlichen Beruf ergreifen könne. Eine Behandlung durch Sigmund Freud zeigte keine Wirkung, also lebte Peter Altenberg von nun an in Kaffeehäusern, Bierkellern, Varietés und winzigen Hotelzimmern. Er lernte einflussreiche Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und Karl Kraus kennen, denen er seine kleinen Prosatexte vorlegte. Vor allem Karl Kraus, der Herausgeber und Autor der damals maßgeblichen |72| Kulturzeitschrift »Die Fackel«, war von Altenbergs impressionistischen Skizzen begeistert, die ganz alltägliche Beobachtungen wie Gespräche zwischen Dienstmädchen oder Zufallsbegegnungen auf der Straße festhielten. Inspiriert durch die Frage von Joris-Karl Huysmans, wie man einen Roman schreiben könnte, in dem hunderte Seiten auf ein oder zwei reduziert werden, schuf Altenberg eine neue Art Literatur, die er in seiner kleinen »Selbstbiographie« erläuterte: »Was man ›weise verschweigt‹ ist künstlerischer, als was man ›geschwätzig ausspricht‹. Nicht?! Ja, ich liebe das
›abgekürzte Verfahren‹,
den
Telegramm-Stil der Seele!
Ich möchte einen Menschen
in einem Satze
schildern, ein Erlebnis der Seele
auf einer Seite,
eine Landschaft
in einem Worte!
Lege an, Künstler, ziele, triff ins Schwarze!«
    Kraus sorgte erfolgreich für die Veröffentlichung von Altenbergs »Extracten des Lebens«, wie dieser seine von allem Überflüssigen befreiten Dichtungen nannte, und begründete dessen Ruf als bedeutender Autor des Jungen Wien. Neben seinen kleinen Büchern trugen allerdings seine auffällige Erscheinung, sein kauziger Humor und die geselligen Nachmittage im Café Griensteidl und im Café Central wesentlich dazu bei, dass er als »Kaf feehauspoet « geradezu legendär wurde. Zudem hatte er ein unbestreitbares Talent, ohne große Anstrengung die Mittel aufzutreiben, die er zum Leben benötigte. Als im Jahr 1905 die elterliche Unterstützung wegen des Bankrotts der väterlichen Handelsfirma versiegte, erschienen Spendenaufrufe in den Wiener Tageszeitungen. »Gebt dem Künstler Peter Altenberg, daß er genesen kann«, |73| schrieb der von Mitleid ergriffene Alfred Kerr, »daß er dieses Dasein mit seinen Gärten, Wäldern und dem plätschernden Spiel der Schönheit noch einmal atmend und glücklicher durchschreite.« Auch Hugo von Hofmannsthal meinte sich um Altenberg kümmern zu müssen, nachdem dieser ihm gegenüber die Andeutung gemacht hatte, seine Freunde ließen ihn verhungern. Bald gehörte es zum guten Ton, das »Genie der Nichtigkeiten«, den leidenden und hungernden Forschungsreisenden im »Afrika des Alltags« finanziell zu unterstützen.
    Die Spendenfreudigkeit seiner Freunde und Förderer ermöglichte es Peter Altenberg, ein kleines Zimmer im Wiener Grabenhotel in der Dorotheergasse zu beziehen. Seine Unterkunft beschrieb er in dem kleinen Text »Zimmereinrichtung«: »Mein einfenstriges Kabinett im fünften Stock des ›Grabenhotel‹ ist mein ›Nest‹, Halm für Halm zusammengesucht seit 20 Jahren. Die Wände ganz bedeckt mit Photos: Die Prinzessin Elisabeth Windisch-Grätz im 5. Lebensjahre. Dieselbe mit ihren vier Engels-Kindern. Franz Schubert und Hugo Wolf, Beethoven und Tolstoi, Richard Wagner und Goethe. Japanische Sumpfvögel, der Berg ›Fushji‹, ein großes Kruzifix aus der Bozener Holzbildnerschule, Gustav Klimts ›Schubert-Idylle‹, Schloß Orth im Winter, ›Grablegung‹ von Ciseri; Photos von: Bertha L., Klara P., Nâh-Baduh aus Accrâ, Paula Sch., Grete H., Kamilla G., Fräulein Mayen, Fräulein Mewes, und meine dreiunddreißig geliebten Ton-Vasen und vierundsechzig japanische Kleinkunst-Sachen, zusammengeschnorrt von ›Verehrerin nen ‹. Kurz alles meinem Sein, meinem Geschmacke, |74| meinen inneren ›Erlebnissen‹ entsprechend. Ein Nest! Wenn ich denke, wer dieses geliebte Kabinett einmal in Bausch und Bogen erben wird, da freut mich wirklich das ganze Sterben nicht!«
    Als es ihm in späteren Jahren immer schlechter ging, er an Schlaflosigkeit, Depressionen und der Alkoholsucht litt,

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