Das Haus des Buecherdiebs
Meldung durchs Internet, Forrest Ackerman sei gestorben. Eine Flut von Beileidstelegrammen erreichte das Science-Fiction-Museum in Hollywood – und wurde von dem vermeintlich Toten mit großem Vergnügen gelesen. Er starb nur vier Wochen später an einem Herzinfarkt, doch den Rang als größter Experte für Science-Fiction und Fantasy wird ihm auch künftig niemand streitig machen, auch wenn all die Monsterkostüme, grellbunten Taschenbücher und futuristischen Pulp-Magazine letztlich nichts anderes beweisen, als dass nichts so vergänglich ist wie unsere Zukunftsvisionen und Phantasien.
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|119| Abrahams Zahnstocher
Die Übersetzer sind die Postpferde der Bildung.
Alexander Puschkin
Seien wir ehrlich: Es gibt nur zwei denkbare Gründe, der vollkommen unrentablen, strapaziösen und entbehrungsreichen Tätigkeit des Übersetzens nachzugehen – entweder man ist in allen anderen Berufen gescheitert, oder man ist mit Haut und Haaren einer besonderen Art von Bücherwahn verfallen. Es gibt schließlich Übersetzungen, die nur entstanden sind, weil sich jemand danach sehnte, ein bestimmtes Werk in seiner Muttersprache zu lesen und in einer ansprechenden, vielleicht sogar bibliophilen Ausgabe in Händen halten zu können, oder weil er mit den vorhandenen Übersetzungen unzufrieden war und sich den Text durch seine Spracharbeit ganz und gar aneignen und einverleiben wollte. Ein wirklich sonderbarer Fall dieser Leidenschaft ist Sir Richard Burton und seine sechzehnbändige Übersetzung der arabischen »Geschichten aus Tausendundeiner Nacht«.
Burton hatte sich bereits als Autor und abenteuerlustiger Forschungsreisender einen Namen gemacht. Als Muslim verkleidet, hatte er eine Pilgerfahrt nach Mekka und Medina unternommen und die Heiligen Stätten |120| des Islam besucht. Gemeinsam mit seinem Freund John Hanning Speke hatte er nach den Quellen des Nils gesucht, nur um sich nach seiner Rückkehr nach England mit dem Gefährten über ihre tatsächliche geographische Lage zu streiten. Zwischendurch hatte er Abhandlungen zu allen möglichen Themen verfasst – von Falkenzucht über Bergbau bis hin zu indischen Bordellen – und vor der staunenden Öffentlichkeit die Rolle des verwegenen Abenteurers gespielt, der unerschrocken jeder tödlichen Gefahr ins Auge blickte. »Er hat die Kinnbacken eines Teufels und die Augenbrauen eines Gottes«, schwärmte der junge Algernon Swinburne über sein Idol, das sich nach 1870 allerdings auf einen ruhigen, aber auch schmerzlich langweiligen Konsulatsposten in Triest zurückzog. Vom trübsinnigen Beamtenleben lenkte sich Burton mit seiner Leidenschaft für orientalische Literatur und ausschweifende Erotika ab.
Im November 1881 erfuhr er, dass der Orientalist John Payne an einer Gesamtübersetzung der Erzählungen aus »Tausendundeiner Nacht« arbeitete – einem unendlich schwierigen Unternehmen, da es im Arabischen zahlreiche unterschiedliche Fassungen, Versionen und voneinander abweichende Manuskripte gab, die alle unter demselben Titel kursierten, ohne dass jemals eine »Urfassung« entdeckt worden wäre. Wie dem auch sei – Burton, der sich in Triest zu Tode langweilte, bot Payne seine Hilfe an, und Payne freute sich über das Angebot. Nachdem dessen Übersetzung zwischen 1882 und 1884 in neun Bänden unter dem Titel »Tales from the Arabic« erschienen war, fand Burton keine Ruhe. Er wollte seine |121| eigene – bessere, vollständigere – Interpretation der Geschichtensammlung gedruckt sehen und begann mit Paynes Billigung eine Neuübersetzung.
Burton bezog sich zunächst auf dieselbe arabische Handschrift wie zuvor Payne und veröffentlichte seine Übertragung 1885 in zehn Bänden. Dann fügte er der Sammlung sechs Ergänzungsbände mit Geschichten hinzu, die er in anderen Fassungen und Handschriften gefunden hatte. Schließlich kam er noch auf die nicht wirklich naheliegende Idee, einige Geschichten aus dem Hindustani zu übertragen, die allerdings nicht aus dem arabischen Original stammten, sondern aus einer alten französischen Übersetzung der »Tausendundeinen Nacht«, die sich etliche inhaltliche Freiheiten erlaubt hatte und über Umwege nach Indien gelangt war. Doch damit nicht genug – in den sechzehn Bänden von Burtons »A Plain and Literal Translation of the Arabian Nights’ Entertainments, Now Entituled the Book of the Thousand Nights and One Night« tauchten außerdem Geschichten auf, zu denen es offenbar in keiner anderen Sprache Vorlagen gab – »Wie
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