Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
Vom Netzwerk:
Schlüsselerlebnis berichten, von einer bestimmten Lektüre, die in ihm den Wunsch nach mehr weckte, von einem Buch, das den Blick weitete und die Seele öffnete. Für Richard Heber war es ein obskures Werk Henry Peachams, für Forrest Ackerman war es eine Ausgabe des Pulp-Magazins »Amazing Stories«. Keine Frage: Bücher sind wichtig – aber nicht nur für Sammler. Sie können tief in unser Schicksal eingreifen. Ralph Waldo Emerson meinte sogar, dass Bücher in unserem Leben dieselbe Bedeutung wie Eltern, Geliebte und leidenschaftliche Erfahrungen gewinnen können. Manchmal führt eine Passion eben nicht zu Besessenheit und Gier, sondern zu Erweckung und Befreiung. Die Entdeckung des Lesens, der Literatur oder manchmal nur die eines einzigen Buches kann das Leben eines jungen Menschen schlagartig verändern und zuweilen einen Ausweg aus dem größten Elend weisen.
    |126| So beschreibt Jules Vallès im ersten Teil seiner Romantrilogie »Jacques Vingtras« seine von Armut und Demütigung geprägte Kindheit in der Auvergne zwischen den Revolutionen von 1830 und 1848. Aus kleinen, fast tagebuchartigen Skizzen entsteht ein bedrückendes Bild des von willkürlichen Strafen, kaltherziger Strenge und kleinbürgerlicher Bigotterie geprägten Alltags des Jungen Jacques, des Alter Ego des Autors. Der Vater, ein Lehrer, schwingt eifrig Rohrstock und Reitpeitsche, um seinen Schülern, vor allem aber den eigenen Kindern unbedingten Gehorsam und eine verstaubte Schulbuchbildung einzubläuen. Die Mutter, die die Liebe des kleinen Jacques nicht erwidern kann, versucht der Trostlosigkeit ihrer Ehe durch ebenso zahlreiche wie wahllose Affären zu entfliehen. Dennoch gibt es in dieser Kindheitshölle, die geradezu zwangsläufig in Gefängnis, Irrenanstalt und Rebellion führt, einige wenige glückliche Augenblicke.
    Als Jacques eines Tages wegen eines nichtigen Vergehens zur Strafe in ein leeres Klassenzimmer gesperrt wird, findet er beim Stöbern eine alte Übersetzung des »Robinson Crusoe«. Er beginnt zu lesen und vergisst die Zeit. Wie der berühmte Schiffbrüchige ist auch er gestrandet – alleingelassen zwischen den leeren Schulbänken, stellt auch er sich bald die Frage, ob er Mäuse und Ratten fangen muss, um zu überleben. Worte, die vielleicht hundert Jahre zuvor geschrieben wurden, öffnen ihm neue, ungeahnte Türen: »Ach! Die verlassene Insel, die wilden Tiere, die endlosen Regenfälle, die Erdbeben, die Tierfelle, der Sonnenschirm, der Tritt des Wilden, |127| alle Schiffbrüche, alle Stürme, Menschenfresser – aber keine Lektionen für heute Abend! Ich zitterte den ganzen Tag vor Kälte. Aber ich war nicht mehr allein; Robinson und Freitag waren meine Freunde. Von jetzt an gab es eine blaue Region in meiner Phantasie, eine Poesie der Träume in der Prosa meines verprügelten Kinderlebens, und mein Herz setzte Segel nach den Ländern, wo man leidet, wo man schuftet, aber frei ist.«
    Defoes Held hat bei jungen Lesern seit jeher einen großen Eindruck hinterlassen. So erinnerte sich auch Edgar Allan Poe noch deutlich an eine seiner ersten Lektüren: »Wie liebevoll versetzen wir uns nicht in Gedanken in jene zaubrischen Tage unsrer Knabenzeit zurück, da wir zuerst lernten, überm Robinson Crusoe ernsthafte Augen zu machen – da wir zuerst spürten, wie der wilde Abenteuergeist in uns Feuer fing; da wir beim unsichren Flammenschein, Zeile für Zeile, die wundersame Bedeutung jener Seiten mühsam herausbuchstabierten; und, atemlos und zitternd vor Eifer darüberhin gebückt, so gänzlich in Anspruch genommen – ›gefesselt‹ waren. Ach ja!, die Tage der einsamen Inseln sind nicht mehr!«
    Anders als Vallès und Poe hatte Frederick Douglass in seiner Kindheit nie die Möglichkeit, ein Buch wie »Ro binson Crusoe« zu entdecken, und was das Wort »Frei heit « bedeutet, erfuhr er erst spät in seinem Leben. Er wurde wahrscheinlich 1818 (eine Geburtsurkunde oder ein vergleichbares Dokument existiert nicht) als Sklave in Maryland geboren und noch als Kleinkind von seiner Mutter fortgerissen. Der Brauch, Kinder von ihren Müttern zu trennen und die Mütter an so entlegene Pächter |128| zu vermieten, dass eine Begegnung aufgrund der großen Entfernung nur äußerst selten möglich wurde, war damals ein fester Bestandteil der barbarischen Sklavenhaltung. Es entsprach genau dem Wesen der Sklaverei, das im Grunde darin bestand, Menschen immerzu zu erniedrigen und letztlich wie Vieh zu behandeln. »Es ist eine erfolgreiche

Weitere Kostenlose Bücher