Das Haus des Buecherdiebs
Schriftstellertugend: Geduld. Nachdem er eine Zeitlang vergeblich auf eine Antwort des »Blackwood’s Magazine« gewartet hatte, schrieb er einen fragwürdigen und zwangsläufig erfolglosen Appell an das selten genug vorhandene Verlegergewissen: »Halten Sie Ihre Zeitschrift für so vollkommen, dass eine Steigerung ihrer Qualität weder möglich noch wünschenswert wäre? Ist es Stolz, der Ihr Handeln diktiert – oder Gewohnheit – oder Voreingenommenheit? Seien Sie ein Mann, Sir, und denken Sie nicht mehr an dergleichen Dinge. Schreiben Sie mir, sagen Sie mir, dass Sie mich zu einem Besuch empfangen.«
Branwells Briefe sind im Vergleich zu seinem nur wenige Seiten umfassenden Œuvre eine wirklich lohnende Lektüre, gerade weil sie schmerzhaft demonstrieren, wie man dem schriftstellerischen Erfolg hartnäckig aus dem Weg geht, indem man Verleger und Lektoren auf unfreundliche Art bedrängt und peinigt. Doch hatte dieser lebenslange Außenseiter und Unglücksrabe auch helle Momente, die zeigen, das irgendwo tief in seiner Seele große Werke darauf warteten, geboren zu werden, so |110| dass sein geradezu zwangsläufiges Scheitern trotz aller Tragik und Vergeblichkeit bedeutsam wirkt. »Edle Dichtung, Kunstwerke, Musik oder Poesie«, schrieb er an einen Freund, »statt meine Phantasie zu beleben, verursachen sie einen Wirbelwind vernichtenden Leidens, der mit unaussprechlicher Gewalt durch meinen Sinn fährt, und wenn ich mich niedersetze und zu schreiben versuche, umstehen mich die Gedanken, die einst in Sonnenschein gekleidet waren, in trauerndem Schwarz … Früher dachte ich, wenn ich für eine Woche die freie Verfügung über das Britische Museum samt der Bibliothek hätte, würde ich mich wie sieben Tage im Paradies fühlen, aber jetzt würden meine Augen über die Elgin Marbles, durch die ägyptische Abteilung und über die kostbarsten Bücherschätze wandern wie die Augen eines toten Kabeljaus.«
Branwell starb im Alter von einunddreißig Jahren an chronischer Bronchitis und Nierenversagen – ein Schriftsteller, der nicht schreiben konnte. Wie sehr er sich mit der Rolle des gescheiterten Namenlosen identifizierte, zeigt sein einzig bekannt gebliebenes Werk, das Selbstporträt im Kreise seiner drei Schwestern: Die berühmten Dichterinnen sind auf dem Bild klar zu erkennen; das eigene Gesicht aber hat der Künstler nachträglich ausgewischt.
Für meine unsichtbare Büchersammlung bevorzuge ich allerdings nicht die tragischen Fälle wie Branwell Brontë, sondern vielmehr jene Autoren, die es gar nicht erst darauf anlegten, in die Ruhmeshallen der Literatur vorzudringen, sondern mit einem Kurzbesuch im Vorzimmer |111| vollkommen zufrieden waren. William Butler Yeats erzählt von einem irischen Dichter, der seine Verse nicht drucken ließ, aber auswendig konnte und gelegentlich aufschrieb, um sie Freunden zu schenken. Die Poesie, die er Yeats vortrug, war von seinem kauzigen Charakter und seinen phantastischen Visionen durchdrungen. Manchmal schwärmte er von einem anderen Leben, das er in einem anderen Jahrhundert gelebt hatte, manchmal von Menschen, deren Verstand er für mystische Erfahrungen geöffnet hatte. Yeats wollte einen Artikel über den eigenartigen Zeitgenossen schreiben, doch dieser erlaubte es nur unter der Bedingung, dass sein Namen nicht erwähnt würde, denn er wünschte, für alle Zeit »unbekannt, obskur und unpersönlich« zu bleiben. Yeats erhielt später ein Bündel handgeschriebener Gedichte und als Beilage folgende Nachricht: »Hier sind die Abschriften der Gedichte, die Dir gefielen. Ich glaube nicht, dass ich je wieder malen oder schreiben könnte. Ich bereite mich auf eine Reihe anderer Tätigkeiten in einem anderen Leben vor. Meine Wurzeln und Zweige sollen erstarren. Ich bin noch nicht reif, um Blätter und Blüten sprießen zu lassen.« Ich würde an dieser Stelle allzu gern einige Verse des genügsamen Poeten zitieren, doch ist kein Wort von ihm überliefert, und sein Name blieb unbekannt.
Von Carl Adler kennen wir zumindest den Namen. Der Sohn des berühmten Wiener Sozialdemokraten Victor Adler war im Milieu der Künstler und Schriftsteller zu Hause. Ohne herausragende Talente, aber mit zahllosen großen Plänen und Träumen gerüstet, zog er |112| zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Kaffeehäuser, redete viel, schrieb wenig und veröffentlichte so gut wie nichts. Ein Freund beschrieb ihn als Inbegriff des gescheiterten Intellektuellen, »schlank, blond, von accentuiert
Weitere Kostenlose Bücher