Das Haus des Daedalus
Ausländer. Er hat mir … das hier gegeben.«
Er zog ein kleines Stück Papier aus der Brusttasche seines schmutzigen Hemdes. »Der Name darauf … sind Sie das?«
Coralina machte langsam einen Schritt auf den Mann zu. Sie erkannte ihre Visitenkarte. »Sie haben mir noch nicht gesagt, wer Sie sind.«
»Mein Name ist Santino.«
Coralina erinnerte sich, daß sie diesen Namen schon einmal gehört hatte. Jupiter hatte ihn erwähnt.
»Der Kapuzinermönch?« Sie musterte ihn genauer. »Aus Cristoforos Haus?«
Santino nickte. »Ich kenne den Namen des Mannes nicht, der mir die Karte gegeben hat.« Wieder blinzelte er. »Könnten Sie … vielleicht … die Lampe runternehmen? Sie blendet mich.«
»Jupiter«, sagte Coralina.
»Jupiter? Wie …«
»Ja. Wie der Gott.«
Santino nickte erneut, so, als erkläre das eine ganze Menge. »Er hat gesagt, ich soll hierher kommen, wenn ich etwas über Cristoforo weiß.«
»Cristoforo ist tot«, sagte sie kühl.
Trauer zeichnete sich auf dem Gesicht des Mönches ab, aber keine echte Überraschung. »Wie ist er gestorben?«
»Man hat ihn umgebracht«, gab sie ungeduldig zurück. »Was wollen Sie hier, Santino?«
»Sie wissen mehr über Cristoforo als ich. Aber deshalb bin ich nicht gekommen. Ich bin gekommen, weil ich …« Er senkte den Kopf. »Weil ich Hilfe brauche.«
Coralina schnaubte verbittert. »Hilfe? Schauen Sie sich um! Sieht das aus, als wäre ich in der Lage, anderen zu helfen?«
»Wo ist Jupiter jetzt?«
»Nicht hier. Im Vatikan.«
Santinos Augen, ohnehin schon tiefliegend und düster, schienen sich noch weiter in ihre Höhlen zurückzuziehen, so finster war der Schatten, der sich über seine Züge legte. »Dann haben sie ihn gefangen?«
Coralina runzelte die Stirn. Wußte er Bescheid über die Adepten? Waren sie diejenigen, vor denen er auf der Flucht gewesen war, als Jupiter ihm begegnete? Sie entschied sich, dem Mönch zu trauen … zumindest auf diese Entfernung.
»Die Adepten der Schale«, bestätigte sie, erntete aber nur Unverständnis.
»Nennen sie sich so?« fragte der Mönch irritiert. »Sie sind die Sklaven des Stiers, nicht wahr?«
Er war nicht ganz richtig im Kopf, ohne jeden Zweifel. Jupiter hatte ihr seinen Eindruck von dem Mönch geschildert, aber entweder hatte er untertrieben, oder aber Santinos Zustand hatte sich seither rapide verschlechtert. Eine wahnhafte Paranoia sprach aus seinen Blicken, seinen Gesten, sogar aus seiner Haltung, erschöpft, aber auch jeden Moment zur Flucht bereit wie ein Wüstentier an einer einsamen Wasserstelle.
Coralina ging nicht auf seine Frage ein. Statt dessen sagte sie: »Wir sollten hochgehen. Wir holen uns sonst noch beide den Tod hier unten.« Als er nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Wegen der Nässe.«
Die Worte schienen mit einiger Verzögerung bei Santino anzukommen, denn es vergingen einige Sekunden, ehe er zustimmend nickte.
Coralina leuchtete an ihm vorbei in den Flur. »Gehen Sie vor.«
Er drehte sich um und watete Richtung Treppe. Seine Bewegungen waren merkwürdig. Erst dachte sie, es läge am Wasser; dann erkannte sie, daß er leicht hinkte. Sie folgte ihm, ohne den Abstand zu verringern. Die Tatsache, daß der einzige Mensch, der möglicherweise auf ihrer Seite stand, augenscheinlich den Verstand verloren hatte, machte ihre Lage nicht gerade angenehmer.
Sie schleppten sich mit klatschnasser Kleidung die Treppe hinauf.
»Weiter nach oben«, dirigierte Coralina den Mönch. »Wir könnten ein paar Handtücher gebrauchen, schätze ich.«
Im zweiten Stock ließ sie ihn auf dem Flur stehen und trat ins Badezimmer der Shuvani, um trockene Handtücher zu suchen. Sie packte einen ganzen Stapel, drückte Santino die Hälfte in die Hände und führte ihn ins Wohnzimmer.
Er legte den Stapel zaghaft auf den Tisch, nahm das oberste Handtuch und entfaltete es so sorgfältig, als hätte er große Ehrfurcht davor. Behutsam tupfte er damit auf seiner nassen Kleidung herum und wirkte schrecklich unbeholfen.
Coralina zögerte einen Moment, dann ließ sie ihn allein und ging noch einmal ins Badezimmer. Aus der Waschmaschine kramte sie eine trockene Jeans, dazu eines ihrer heißgeliebten Kapuzenshirts aus Fleece. Nach kurzer Überlegung ergriff sie ein zweites und nahm es für Santino mit. Sie trug Pullover und T-Shirts fast immer in XL, weit und schlabberig, so daß es ihm passen würde. Für seine nasse Hose hatte sie keinen Ersatz.
Im ersten Moment behagte es ihr nicht, sich vor Santinos Augen
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