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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Glucksen und Klatschen und Schwappen.
    Aber war da nicht eine Stimme gewesen? Sie ging zurück zur Tür und blickte hinaus in den Flur. Sie wagte nicht, mit der Lampe zur Treppe zu leuchten, aus Angst, jemand könne von oben den Lichtschein bemerken.
    Vorsichtig bewegte sie sich zurück in den Raum. Falls dort oben jemand war, würde er mit Sicherheit zuerst in den trockenen Etagen nach ihr suchen. Ihr blieb also noch ein wenig Zeit. Und falls sie sich getäuscht hatte, falls niemand da war … um so besser. Es wurde ohnehin Zeit, daß sie die Sache hier unten hinter sich brachte.
    Zaghaft ertastete sie unter Wasser den Rand des Schreibtischs, fühlte mit den Fingern seine Oberfläche. Da war ein schwerer Füllfederhalter, ein Locher, ein leerer Abroller für Klebeband. Die Stelle, an der sonst die Post landete, war leer bis auf einen dicken Umschlag, der sich mit Wasser vollgesaugt hatte. Er war weich und biegsam. Also keine CD-Rom.
    Sie hielt die Lampe über den Schreibtisch und versuchte, durch das Wasser hindurch weitere Einzelheiten zu erkennen. Das Keyboard ihres PCs, die Maus, eine leere Plastikablage, ein silberner Brieföffner. Nirgends eine Spur von Fabios CD. Wie sie ihn kannte, hatte er sie ohne Umschlag durchs Fenster geworfen, vermutlich auch ohne Plastikhülle. Sie ließ den Lichtschein der Lampe in einer spiralförmigen Bewegung rotieren, in immer weiteren Kreisen, bis er über die Kante des Schreibtischs hinausglitt und vom umliegenden Nichts geschluckt wurde. Das Licht reichte nicht aus, um auch den Fußboden zu erhellen. Coralina wollte sich schon dem Treibgut auf der Oberfläche zuwenden, als sie plötzlich ein Glitzern bemerkte. Etwas hatte das Licht reflektiert, ein silbriger Augenaufschlag, gleich wieder vorbei.
    Okay. Sie war einmal getaucht, sie konnte es auch ein zweites Mal tun. Prüfend leuchtete sie noch einmal über jenen Teil des Bodens, auf dem sie das Schimmern gesehen hatte, konnte aber nichts mehr erkennen.
    Ein vorbeischwimmender Fisch, dachte sie in einem Anflug hysterischen Humors. Lichtreflexe auf seinen silbernen Schuppen. Wasser … Fisch … das war wirklich verteufelt komisch!
    Sie atmete ein paar Mal tief durch, dann ging sie in die Knie, tauchte unter. Das Wasser verzerrte die Größenverhältnisse des Schreibtischs und der Gegenstände darauf. Sie schwenkte die Taschenlampe hin und her, in der Hoffnung noch einmal das gleiche Blitzen wahrzunehmen, irgendwo am Fuß der Tischbeine.
    Beim ersten Versuch fand sie nichts als aufgeweichtes Papier und die aufgequollenen Reste einer Tafel Schokolade. Sie mußte auftauchen, Luft holen und es ein zweites Mal versuchen.
    Diesmal wurde sie fündig. Der Lichtstrahl der Lampe tastete über eine silberne Scheibe am Boden hinweg. Coralina streckte die Hand danach aus, fühlte glattes Plastik und hob es auf. Langsam, um beim Auftauchen kein allzu lautes Geräusch zu verursachen, richtete sie sich auf und holte Luft.
    »Ja!« flüsterte sie und hielt die Disk triumphierend in den Schein der Lampe. Sie war auf beiden Seiten unbeschriftet, eine unscheinbare CD.
    Als sie sich zur Tür umdrehte, stand dort ein Mann.
    Coralina erschrak so heftig, daß sie die CD fast wieder fallen gelassen hätte. Dann aber richtete sie die Lampe wie eine Waffe auf die Gestalt im Türrahmen. Etwa drei Meter trennten sie voneinander.
    Der Mann stand wie sie bis zum Bauch im Wasser. Er blinzelte und hob schützend eine Hand, als der Lichtstrahl auf sein Gesicht fiel. Er war dunkelhaarig, ausgezehrt. Kinn und Wangen waren mit roten Flecken übersät, wie bei jemandem, der sich nach langer Zeit zum ersten Mal rasiert hatte. Er wirkte nicht wirklich bedrohlich … das waren vielmehr die Umstände und die unheimliche Umgebung. Wäre sie ihm auf der Straße begegnet, hätte sie eher Mitleid als Furcht empfunden. Hier unten aber, verbunden mit seinem überraschenden Auftauchen, jagte er ihr tiefe Angst ein.
    »Wer sind Sie?« fragte sie, während ihre linke Hand die CD unter Wasser in eine Hosentasche schob und dann rückwärts über den Schreibtisch tastete. Noch bevor der Mann antworten konnte, bekam sie den Brieföffner zu fassen, riß ihn in einer Fontäne aus dem Wasser und richtete ihn auf den Fremden wie ein Messer.
    »Ich … ich habe Ihr Licht gesehen«, stammelte der Mann leise und schien dabei fast durch Coralina hindurchzuschauen. »Die Tür … oben … sie war offen. Ich suche jemanden.«
    »So?« erwiderte sie mißtrauisch. »Wen?«
    »Einen Mann. Einen

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