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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zuckte zusammen, und einen Moment lang fürchtete er, sie könnte das Gleichgewicht verlieren und nach vorne in die Tiefe stürzen. Gerade wollte er sie packen, als sie von sich aus einen hastigen Schritt nach hinten machte, ein unsicheres Taumeln, das zu gleichen Teilen an ihrer Überraschung wie auch an dem kalten Boden liegen mochte, auf dem ihre nackten Füße nach Halt suchten.
    »Jupiter?« stammelte sie, obwohl sie ihn doch erkennen mußte.
    »Ich …« Sie brach ab, schaute an sich hinunter und schüttelte den Kopf. »Ist schon gut«, murmelte sie schließlich. »Nichts passiert.«
    »Was tust du hier oben?«
    Benommen suchte sie nach Worten. »Ich bin Schlafwandlerin … schon seit Jahren.«
    Er blickte zögernd über das niedrige Gitter, hinab in den Abgrund, drei Stockwerke tief. Eine Katze huschte unten über das Pflaster. »Du hättest dich umbringen können.«
    Coralina schüttelte den Kopf. »Mir passiert schon nichts.«
    »Weiß die Shuvani Bescheid?«
    »Natürlich.« Coralina schmunzelte. »Vor ein paar Jahren hat sie aus irgendwelchen Kräutern ein Gebräu zusammengekocht und von mir verlangt, daß ich es trinke. Das sollte angeblich den Fluch von mir nehmen.« Sie fuchtelte mit den Händen in der Luft wie die Karikatur eines Geisterbeschwörers.
    »Und?«
    »Ich hatte vier Tage Durchfall.« Coralinas Lachen schallte hell und gläsern über das Dach. Jupiter fand, daß sie sehr verletzlich wirkte, wenn sie lachte. Vielleicht war dies der Moment, sie in den Arm zu nehmen, wenn auch nur, um sie zu wärmen. Aber sie bewegte sich rückwärts zur Treppe und entzog sich ihm, bevor er auch nur die Hände heben konnte.
    »Die Shuvani kennt viele solche Rezepte.« Den Schreck darüber, sich plötzlich hier oben wiederzufinden, hatte sie offenbar überwunden. »Alle stinken, schmecken wie tote Katzen und machen einem nichts als Ärger.«
    »Du bist schon öfter hier oben aufgewacht, oder?«
    »Meistens gehe ich noch im Schlaf wieder nach unten und lege mich ins Bett. Morgens merke ich dann, daß ich wieder unterwegs war.« Sie zuckte gelassen die Achseln. »Aber ich hab mich dran gewöhnt. Mach dir keine Sorgen.«
    Natürlich machte er sich Sorgen, aber er war nicht sicher, ob er ihr das zeigen sollte. Statt dessen wechselte er das Thema. »Es ist wunderschön hier oben.«
    »Nicht wahr?« Sie blieb am oberen Ende der Treppe stehen und drehte sich einmal um sich selbst, blickte verträumt über das nächtliche Lichtermeer.
    Die Gasse, an der das Haus der Shuvani lag, mündete ein Stück weit entfernt in die Via del Governo Vecchio, eine lange, kurvenreiche Straße, an der sich Roms beste Second-Hand-Läden und Antiquariate drängten. Obwohl Tag für Tag unzählige Touristen an den Auslagen vorüberwanderten, hatte die Straße sich den Ruf eines Geheimtips bewahrt. Tief und eng wand sie sich durch einen der ältesten Teile der Innenstadt, düster sogar bei strahlendem Sonnenschein. Tagsüber war sie voller Einheimischer, die unter freiem Himmel ihre Vespas reparierten oder vor den winzigen Bars Espresso tranken. Nachts aber wich das Leben aus der Via del Governo Vecchio, und übrig blieb nur eine ausgestorbene Schneise im Gefüge der alten Häuser.
    Von ihrem Aussichtspunkt aus konnten Jupiter und Coralina die Straße sehen, auch wenn sie sich schon nach wenigen Metern aus ihrem Sichtfeld schlängelte.
    »Sie mag es nicht, wenn man sie allzu lange beobachtet«, sagte Coralina rätselhaft, als sie Jupiters Blick hinüber zur Via del Governo Vecchio bemerkte. »Sie schätzt es nicht, wenn man zu genau betrachtet, was dort auf welche Weise verkauft wird.«
    »Die Hehler, von denen du gesprochen hast, arbeiten auch dort?«
    »Nicht in den Ladenlokalen. Aber in Hinterzimmern und auf Dachböden, ja.«
    Er gab sich einen Ruck und sprach aus, was er sich vor dem Einschlafen im Bett überlegt hatte. »Ich denke nicht, daß wir die Kupferplatte gleich zu einem Händler bringen sollten. Ich würde gern ein wenig mehr darüber herausfinden.«
    Sie lächelte ihn an. »Als ob ich irgend etwas anderes erwartet hätte.«
    »Und die Shuvani?«
    Schalk blitzte in ihren Augen. »Ist hiermit überstimmt.«
    Schlagartig wurde ihm klar, daß sie noch immer erbärmlich frieren mußte. »Komm ins Haus«, sagte er und wollte mit ihr die Treppe hinuntersteigen.
    Coralina hielt ihn zurück. »Warte. Laß uns noch bleiben! Es ist so schön hier draußen.«
    »Du erkältest dich.«
    »Sei nicht so schrecklich profan.«
    Ihre neckische

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