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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Statuen, von denen Babio gerne behauptete, es handele sich um Kopien, auch wenn Jupiter die Vermutung hatte, daß in diesem Haus mehr echte Kunstwerke der Antike aufbewahrt wurden als in den altehrwürdigen Gebäuden der Stadt.
    Das Stirnende des Saals wurde von einem gewaltigen Gesicht eingenommen, fünf Meter hoch und aus hellem Stein gemeißelt. Die Züge waren von der Perfektion eines griechischen Gottes. Blinde Augen blickten Jupiter entgegen, blanke Augäpfel ohne Pupille. Ein gezackter Riß verlief von der Stirn hinab entlang der Nase und spaltete die steinerne Oberlippe.
    Davor stand Babio, in einen weißen Kaschmiranzug gekleidet, und zündete sich an einem niedrigen Feuerbecken mit glühenden Kohlen einen Zigarillo an.
    »Jupiter, mein Freund«, sagte er paffend, »willkommen in Alberichs Hort!«
    Babio hegte seit jeher eine Vorliebe für die nordische Mythologie, und die Identifikation mit dem Zwerg Alberich, dem Hüter des Nibelungenschatzes, war naheliegend. Er sprach Deutsch, Dänisch, Schwedisch und ein wenig Isländisch. Bis vor ein paar Jahren hatte er regelmäßig italienische Übersetzungen aus dem Mittelhochdeutschen bei angesehenen Wissenschaftsverlagen publiziert.
    Jupiter schüttelte ihm die Hand und war abermals erstaunt, wie winzig Babio war. Kleinwüchsig selbst für einen Liliputaner, erreichte er kaum eine Höhe von einem Meter. Daß er überhaupt älter als fünfzig geworden war, grenzte nach Ansicht seiner Ärzte an ein Wunder. Babio hatte graues Haar und einen kurzgeschnittenen weißen Vollbart. Sein Kopf war unnatürlich groß im Verhältnis zum Rest seines Körpers, aber Babio scherzte gern, daß dies nur dem Maßstab seines Genies entspräche. »Wäre ich so groß wie du«, hatte er einmal zu Jupiter gesagt, »hätte ich einen Schädel wie die Dioskuren auf dem Kapitol.« Jupiter hatte ihn daran erinnert, daß eine ganze Armee von Restauratoren seit Jahrhunderten dafür Sorge trug, daß die steinernen Köpfe der Statuen nicht einfach vornüber fielen: »Zu groß, zu schwer. Typischer Fall von Größenwahn.«
    Babio stieß eine Rauchwolke aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kinn des Titanengesichts. »Seit wann bist du in Rom?«
    »Seit gestern.«
    »Du wohnst wieder bei dieser Hexe, nehme ich an.«
    Jupiter nickte. »Du hast mir nie erzählt, was zwischen dir und der Shuvani vorgefallen ist.«
    »Vorgefallen? Nichts.« Babio zeigte ein schmales Lächeln. »Von meiner Seite gekränkter Liebesstolz. Von ihrer … nun, nennen wir es Mißgunst.«
    »Liebesstolz?« entfuhr es Jupiter ungläubig. »Du warst …«
    »Schrecklich verliebt in sie«, bestätigte Babio gelassen. »Aber das ist lange her. Sie war eine schöne Frau, damals.«
    Die Vorstellung des winzigen Babio in den fleischigen Armen der Shuvani war so grotesk, daß Jupiter kein weiteres Wort über die Lippen brachte.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Babio. »Aber, glaub mir, sie hat nicht immer so ausgesehen wie heute. Als sie nach Rom kam, war sie schlank und schön, eine reife Frau bereits, aber äußerst attraktiv.«
    Jupiter fielen auf Anhieb ein halbes Dutzend sarkastischer Antworten ein, aber er beherrschte sich. Ihn wunderte, daß Babio mit einemmal so viel von sich erzählte. Der kleine Kunsthändler mußte doch wissen, daß die bombastische Inszenierung seiner selbst dadurch zum Kartenhaus geriet.
    Jupiter räusperte sich. »Wart ihr … zusammen?«
    »O nein, natürlich nicht«, entgegnete Babio kopfschüttelnd. »Sie hatte einen Beau, der sie jahrelang becircte und umschwärmte und eher ihren … nun ja, Größenverhältnissen entsprach. Hochgewachsen … und hochgestellt, wenn du verstehst. Meine Welt ist eine andere als die eure. Die Shuvani weiß das. Sie hat eine Beziehung mit mir nie in Betracht gezogen.«
    »Kennst du ihre Enkelin?«
    »Die kleine Coralina?«
    »Die so klein nicht mehr ist.«
    »Als ich ihr zuletzt begegnet bin, war sie ein Teenager. Ein junger Teenager. Was ist mit ihr?«
    »Wie’s scheint, macht sie dem früheren Ich ihrer Großmutter alle Ehre.«
    Babio gestattete sich einen Augenblick verträumter Rückschau. Dann aber wurde er abrupt ernst und sagte: »Du bist nicht hier, um mit mir über Frauen zu sprechen. Eigentlich dachte ich, daß du die Nase voll hast von ihnen.«
    Jupiter schnaubte abfällig. »Ist Miwa bei dir gewesen?«
    »Mehr als einmal. Aber ich hab sie nicht ins Haus gelassen.«
    »Warum das, um Himmels willen?«
    »Sie ist zu klein.«
    »Zu klein?«
    »Deshalb

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