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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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habe ich dich am Eingang gefragt, wie groß du bist. Niemand unter eins siebzig kommt mir ins Haus.«
    Jupiter lächelte höflich, doch dann bemerkte er, daß Babio keine Miene verzog. »Ist das dein Ernst?« fragte er irritiert.
    »Gewiß.«
    Vielleicht war die Verrücktheit des Zwerges doch mehr als eine Laune, die in unregelmäßigen Zyklen wiederkehrte.
    »Klein bin ich selbst«, fuhr Babio ernsthaft fort und zog an seinem Zigarillo. »Ich will nicht ständig in einen Spiegel schauen. Deshalb bevorzuge ich die Gesellschaft von großen Menschen wie dir.«
    Es hatte wenig Zweck, diese neue Absonderlichkeit Babios zu hinterfragen. Jupiter mußte es hinnehmen, so wie er den sonderbaren Orakelspruch am Eingang hingenommen hatte. Und letztlich konnte er froh sein, daß Miwa Babio nicht auf ihre Seite gezogen hatte.
    »Wann war sie zuletzt hier?« fragte er.
    Mißmutig hob der Zwerg eine Augenbraue. »Du suchst doch nicht etwa nach ihr?«
    Jupiter schüttelte den Kopf, vielleicht eine Spur zu hastig. »Nein. Aber sie hat eine Menge Dinge von mir mitgenommen.«
    »Zuletzt hab ich sie vor etwa acht Monaten gesehen«, sagte Babio, augenscheinlich zufrieden mit Jupiters Antwort. Gedankenverloren schob er einen seiner winzigen Finger in die Hasenscharte des steinernen Riesengesichts und strich Staub heraus. »Sie sah gut aus.«
    Mit einem Schulterzucken ergänzte er: »Zumindest auf meinem Überwachungsmonitor.«
    »War sie allein?«
    »Großer Gott, Jupiter !«
    »Ich bin nicht eifersüchtig. Nur interessiert.«
    »Das will ich hoffen. Die Dinge in deinem Brief lasen sich nicht besonders erfreulich.«
    »Der Brief …« Jupiter seufzte. »Das war ein Fehler.« In seiner Verzweiflung hatte er kurz nach Miwas Verschwinden persönliche Briefe an seine wichtigsten Geschäftspartner verfaßt. In den Schreiben hatte er grob skizziert, auf welche Weise Miwa ihn ausgebootet hatte. Insgeheim hatte er wohl gewußt, daß dies der falsche Weg war, galt es doch in der Branche als verpönt, Privates mit Geschäftlichem zu vermischen. Obwohl er in seinem Brief Miwas Betrug nur angerissen hatte, hatte man ihm diesen Schritt übelgenommen. Miwa war es daraufhin noch leichtergefallen, ihn vor aller Welt zu diskreditieren. Liebeskummer treibt einen Menschen zu den dümmsten Dingen, und bedauerlicherweise war Jupiter keine goldene Ausnahme von der Regel.
    »Laß uns über etwas anderes reden«, bat er.
    Babio machte eine generöse Geste. »Wie du willst. Du hast mir noch immer nicht verraten, warum du hier bist.«
    Jupiter nickte und zog den kleinen Lederbeutel aus der Manteltasche. Er löste das Band und ließ die Tonscherbe auf seine Handfläche gleiten. »Weißt du, was das ist?«
    Babio nahm die Scherbe mit Daumen und Zeigefinger auf, sehr vorsichtig, beinahe ehrfurchtsvoll. Er betrachtete sie von allen Seiten. »Laß uns in mein Arbeitszimmer gehen.«
    Durch eine Tür, halb verborgen hinter dem steinernen Schädel, führte er Jupiter in ein Treppenhaus. Sie stiegen die Stufen ins nächste Stockwerk hinauf, folgten einem schlichten Flur und betraten schließlich ein teakholzgetäfeltes Kaminzimmer. In einer Ecke stand ein gläserner Waffenschrank mit einem halben Dutzend Jagdgewehre. Jupiter bezweifelte, daß Babio je eines davon benutzt hatte; auch das mächtige Elchgeweih über dem Kamin stammte fraglos aus zweiter Hand. Davor lag ein graues Bärenfell samt Kopf mit aufgerissenen Kiefern.
    Hätte Jupiter nicht gewußt, daß Babio passionierter Kaffeetrinker war, so hätte er geschworen, daß es hier drinnen nach würzigem Tee roch. Möglich, daß der Duft in der Täfelung hing, die Babio gewiß aus England hatte einfliegen lassen.
    Der Zwerg legte die Scherbe auf einen kleinen Leuchttisch, lenkte von oben das Licht eines Punktstrahlers darauf und nahm aus einer Schublade eine große Lupe. Eingehend betrachtete er die Scherbe von allen Seiten, murmelte dabei unverständlich vor sich hin und schaute schließlich über den Rand der Lupe zu Jupiter auf.
    »Wo hast du sie her?«
    »Das hast du mich früher nie gefragt, Babio, und wir wollen doch nicht mit liebgewonnenen Traditionen brechen, oder?«
    Der Zwerg knurrte etwas und widmete sich dann wieder dem Fundstück.
    »Ich dachte … «, begann Jupiter, wurde aber sogleich von Babio unterbrochen: »Du dachtest, du hättest ein Bruchstück der Phaistos-Scheibe gefunden. Und dann hast du die beiden verglichen und festgestellt, daß es etwas anderes sein muß.«
    Jupiter nickte widerwillig.

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