Das Haus des Daedalus
Polaroids davon zu machen? Vielleicht fällt mir jemand ein, der uns weiterhelfen könnte. Ich gehe doch gewiß recht in der Annahme, daß du das gute Stück nicht hier bei mir lassen willst?«
Jupiter war nicht sicher, ob es eine gute Idee war, Fotos der Scherbe in Umlauf zu bringen. Irgendwer mochte einen Zusammenhang herstellen zwischen der Scherbe, Jupiter, Coralina und der Entdeckung der Kupferplatten. Andererseits sah er ein, daß Babio im Augenblick ihre einzige Chance war, mehr darüber herauszufinden.
»Mach deine Fotos«, sagte er nach einem Augenblick zu Babio.
»Aber tu mir den Gefallen und überlege dir genau, wem du sie zeigst.«
Der Zwerg zog eine Polaroidkamera aus dem Schreibtisch und machte mehrere Aufnahmen von der Scherbe. »So ängstlich?«
»Nur verantwortungsvoll.«
Babio lächelte still in sich hinein und drückte ein weiteres Mal auf den Auslöser. Kurz darauf hatte er fünf Bilder vor sich liegen, auf denen allmählich der Umriß der Scherbe sichtbar wurde.
Jupiter nahm das Original, schob es in den Lederbeutel und steckte ihn in seine Manteltasche. »Wann, glaubst du, weißt du mehr?«
»Vielleicht nie. Vielleicht schon morgen. Ich ruf dich an.«
Jupiter reichte ihm eine von Coralinas Visitenkarten.
Babio überflog die Adresse und schaute dann mit verschmitztem Lächeln auf. »Wohnst du bei der Alten oder bei ihr?«
»Ich will dein Genie nicht mit unnötigen Details vernebeln, Babio.«
Kichernd ließ der Zwerg die Karte in seinem Anzug verschwinden.
»Gut, gut, gut«, rasselte er. »Ich ruf dich an, versprochen. Findest du den Weg allein?«
»Sicher.« Jupiter schüttelte die winzige Hand des Zwerges und trat hinaus auf den Gang.
Hinter sich hörte er den Zwerg wieder murmeln, diesmal in einem dumpfen Sprechgesang: »Ich bin klein, mein Herz ist rein . .. «
Jupiter umfaßte den Lederbeutel in seiner Tasche fester und verließ das Haus.
Nachdem sie den Abdruck des Schlüsselumrisses bei dem Kunstschmied abgegeben hatte, machte sich Coralina noch einmal auf den Weg zur Kirche. Es war nicht allein Neugier, die sie dorthin trieb. Vielmehr erfüllte sie der Gedanke an den Wirbel, den der Fund verursachte hatte, mit vager Beklommenheit. Je mehr Fachleute Interesse an der Entdeckung bekundeten, desto größer war die Gefahr, daß früher oder später doch jemand über einen Hinweis auf die siebzehnte Platte stolpern mochte.
War sie wirklich vorsichtig genug gewesen, als sie das kostbare Stück aus der Kirche geschmuggelt hatte? Konnte sie wirklich sicher sein, daß nicht doch jemand sie beobachtet hatte?
Coralina wollte nicht mit Jupiter über ihre Ängste sprechen, weil sie befürchtete, er könnte einfach seine Sachen packen und abreisen. Aber sie brauchte ihn jetzt -nicht nur, um den Wert der Scherbe und der Platte herauszufinden, sondern auch als Unterstützung gegen die übermächtige und vorschnelle Entschlußfreudigkeit der Shuvani.
An der Stelle vor der Kirche, wo am Morgen die schwarze Limousine gestanden hatte, parkten jetzt mehrere Taxis. Die Menschenmenge vor dem Portal war größer geworden. Hatten vor einigen Stunden noch vor allem Fachleute und nur wenige kulturinteressierte Touristen den Weg in die Kirche gesucht, so wirkte der Auflauf nun wie die Schlange vor einer Diskothek. Mindestens zwei ausländische Schulklassen tummelten sich auf der Piazza Cavalieri di Malta, lachten, pöbelten und lärmten, während ihre Lehrer auf die stoischen Wachmänner am Eingang einredeten. Coralina bemerkte, daß die Zahl der Wächter aufgestockt worden war; waren es am Vormittag nur zwei gewesen, die den Eingang abgeriegelt hatten, so standen dort nun vier. Statt des gelben Plastikbandes hatte man hüfthohe Holzgitter aufgestellt, um dem Ansturm der Neugierigen Herr zu werden. Eine japanische Reisegruppe stand als dichter Pulk inmitten des Gewimmels, während ihre Führerin unbeeindruckt von all dem Trubel einen Vortrag über die Fassade der Kirche hielt.
In der Nähe parkte ein Kleinbus mit vatikanischem Nummernschild. Experten, vermutete Coralina, die gerade dabei waren, Piranesis Geheimkammer Staubkorn für Staubkorn zu untersuchen.
Das Portal öffnete sich einen Spaltbreit, und zwei Männer traten ins Freie. Der eine war Landini, bedeckt mit einer feinen Schicht von Kalkstaub, die seine pigmentarme Haut noch weißer erscheinen ließ. Der zweite Mann war älter, Anfang Sechzig, ging leicht gebeugt und trug einen bodenlangen schwarzen Mantel. Er war grauhaarig, sein
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